Luftangriff auf Eschwege vor 75 Jahren: Bombenhagel zur Mittagszeit

Einige ältere Eschweger haben den 22. Februar 1945 nicht vergessen: Vor 75 Jahren erlebte die Stadt in der Mittagszeit den schwersten Luftangriff des zu Ende gehenden Zweiten Weltkrieges.
Einige ältere Eschweger haben den 22. Februar 1945 nicht vergessen: Vor 75 Jahren erlebte die Stadt in der Mittagszeit den schwersten Luftangriff des zu Ende gehenden Zweiten Weltkrieges.
Eschwege. Heinz Bührig (92), ehemaliger Stadtverordnetenvorsteher und Ehrenbürger der Stadt, als 17-jähriger Luftwaffenhelfer in die Flak-Abt. 146 nach Großenritte einberufen, erinnert sich an den Angriff. Er war auf Heimaturlaub und bekam mit, was passierte – wenn auch nicht in der schlimmsten Form:
Augenzeugenbericht
„Meine Eltern saßen um die Mittagszeit gegen 12.55 Uhr in der Brückenstraße 20 in der Küche. Da hörten wir aus dem Volksempfänger die Warnmeldung.“ Heinz Bührig, der kurz ein stilles Örtchen besuchte: „Die Buxe hoch und dann ab mit dem gehbehinderten Vater im Krankenfahrstuhl in Richtung provisorischer Luftschutzkeller in der Brückenstraße 33 im Braunen Haus.“
Aber bis dahin kam die Familie nicht. Die Bomber warfen ihre tödliche Last über Eschwege ab und in der Nachbarschaft und im Großraum Eschwege krachte es an allen Ecken. Schnell suchten sich die Bührigs in der Umgebung eine Deckung, hörten die Bombeneinschläge nah und fern, sahen in der Nachbarschaft Häuser brennen und zusammenstürzen. Vom Ausmaß der Schäden am Bahnhof ahnten sie da noch nichts. „Aber so schnell, wie der Spuk gekommen war, ging er dann auch vorüber“, erinnert sich Heinz Bührig. Die Familie blieb trotz des ganzen Chaos unverletzt, kehrte nach der Entwarnung wieder in ihre Wohnung zurück.
Schäden
Das Glück der Bührigs hatten andere Eschweger nicht. 44 Menschen starben, 223 wurden zum Teil schwer verletzt. Heinz Bührig konnte erst drei Tage später zu seiner Einheit nach Großenritte zurückkehren, denn wegen des völlig zerstörten Eschweger Bahnhofs fuhren keine Züge mehr. Die alliierten Bomben – von 15 bis 20 Flugzeugen berichteten Augenzeugen – trafen unter großem Getöse die meisten Bahnhofsgebäude, große Schäden gab es an Lokomotiv- und Triebwagenschuppen. Über 60 Prozent der Gleisanlagen waren zerstört, ein ganzer Güterzug mit 40 Achsen und weitere 100 Güterwagen erheblich beschädigt. Viele der angrenzenden Häuser in der Eisenbahnstraße trugen durch die enormen Druckwellen große Schäden davon.
Obwohl die Bahnbediensteten versuchten, nach dem Alarm die behelfsmäßigen Luftschutzräume zu erreichen, schafften es nicht mehr alle. Auch war der Luftdruck der Bomben-Detonationen so gewaltig und intensiv, dass sogar die Notausgänge der meisten Schutzräume eingedrückt wurden. Ein Volltreffer legte das Betriebsgebäude der Reichsbahn in Schutt und Asche. Von den über 220 Verletzten verstarben einige noch in den Tagen danach. Die meisten der Opfer waren Bedienstete der Bahn und Anwohner der nahen Eisenbahnstraße. Wobei der ganze Angriff nach Aussagen von Zeitzeugen nur acht bis zehn Minuten dauerte.
Aufräumarbeiten
Werner Götting, der sich um das Eschweger Feuerlöschwesen verdient gemacht hat, hinterließ ebenfalls Aufzeichnungen über das Trümmerchaos am Bahnhof. Götting berichtete im Interview mit dem Historiker Herbert Fritsche von einem „wüsten Trümmerfeld, zerfetzten Waggons, beschädigten Lokomotiven und einem Gewirr verbogener Schienen“. Der Luftdruck der Detonationen sei so groß gewesen, dass eine sieben Tonnen schwere Drehscheibe des Lokschuppens und zentnerschwere Waggonpuffer rund 500 Meter weit bis in die Eisenbahnstraße flogen.
Schon kurz nach dem Angriff startete ein Bergungs- und Räumungskommando der örtlichen Luftschutzleitung unter der Leitung des Bauunternehmers Siebert für das Bahnpersonal und die in der Umgebung wohnende Zivilbevölkerung sofort eine umfangreiche Bergungsaktion. Wegen vieler einsturzgefährdeter Gebäude nicht ganz einfach. Die Opfer wurden geborgen, einige von ihnen schon drei Tage später auf dem Ehrenfriedhof beigesetzt.
Aber auch die Aufräumarbeiten auf dem Bahngelände und den umliegenden Straßen begannen sofort, berichtet Historiker Herbert Fritsche. Dabei gingen Aufträge auch an die Baufirmen Bödicker und Hämmerling und rund 600 freiwillige Helfer waren im Einsatz. Die Bautrupps der Reichsbahn arbeiteten in mehreren Schichten an der Wiederherstellung der Gleisanlagen, und so war schon 24 Stunden nach dem Angriff die Bahnstrecke nach Niederhone wieder eingleisig befahrbar. Die Räumarbeiten in der mit Trümmern überfüllten Niederhoner Straße dauerten etwas länger, aber nach einer Woche konnte auch diese Straße wieder für den Verkehr freigegeben werden.
Weitere Angriffe
Eschwege war in den letzten Kriegstagen aber nicht allein Ziel alliierter Angriffe. Elf Monate vorher, am 19. April 1944, mussten der Stadtteil Niederhone (Hoyweg und Landstraße), Oberhone und das Flugplatzgelände einen heftigen Angriff von 30 F-2-Bombern über sich ergehen lassen, der 18 Tote, 60 Verletzte und großen Sachschaden forderte. Und am 31. März 1945 flog im Waldkappeler Bahnhof ein bombardierter Munitionszug in die Luft, ebenfalls mit vielen Opfern.
Angriffe auf Eschwege hatte es auch schon ab 1940 gegeben. Den ersten am 7. Juli 1940, einem Johannisfest-Sonntag, als auf dem Flugplatz aber nur ein Benzinlager getroffen wurde. Weitere Angriffe auf den Flugplatz folgten am 19. und 21. Juli (ein Toter, vier Verletzte). Erheblichen Sachschaden in der Gärtnerei Sandrock am Höhenweg und in der Weberei beim Gaswerk verursachte der vierte und letzte Angriff am 26. August, dann folgte eine Zeit ohne Angriffe.
Noch einmal mussten die Bührigs und andere Eschweger Familien ihre Wohnung verlassen: Am 3. April 1945, einem Osterdienstag, wurden vom sich zurückziehenden deutschen Pionierkommando erst die Eisenbahnbrücke, dann die beiden Eschweger Werrabrücken gesprengt, um die anrückenden US-Soldaten zu stoppen. Aber die waren nicht zu stoppen. Gegen 11 Uhr rollten die ersten US-Panzer in der Friedrich-Wilhelm- und Bahnhofstraße Richtung Innenstadt, ebenfalls aus Richtung Reichensachsen und Langenhain.
Eschweger Kriegsende
Die Panzerbesatzungen sahen nur wenige weiße Fahnen, aber die Einwohner verhielten sich diszipliniert. Auf die Stadt wurden mehrere Schüsse abgegeben, US-Soldaten durchsuchten die Häuser nach deutschen Soldaten. Gegen 14 Uhr erklärte Bürgermeister Dr. Beuermann den US-Offizieren, dass die Stadt nicht mehr von deutschen Soldaten verteidigt würde, die sich zurückgezogen hatten, und übergab Eschwege an den US-Regierungsoffizier Major Weißenberger.
In den Tagen und Wochen nach dem 3. April normalisierte sich der Alltag nur langsam. Alle Banken, Sparkasse, Amtsgericht, Post, Finanzamt und Molkerei waren geschlossen, die US-Besatzer, die viele Verbote erließen und ein strenges Regiment führen, richteten im Amtsgericht ihr Military-Office ein. Bürgermeister Dr. Beuermann wurde am 15. April wegen seiner NS-Vergangenheit des Amtes enthoben, Fabrikant Otto Georg Holzapfel als kommissarischer Bürgermeister, Wolfgang Hartdegen als Landrat eingesetzt. In den Sommermonaten die ersten Bemühungen, so etwas wie Normalität einkehren zu lassen. Siegfried Furchert