Interview mit Finanzausschuss-Vorsitzendem: „Die Corona-Krise wird die kommunalen Haushalte mit voller Wucht treffen“

Die Corona-Krise wird, nach Aussage des Finanzausschuss-Vorsitzendem Volkmar, den Haushalt der Stadt Eschwege im Werra-Meißner-Kreis für 2020 „mit voller Wucht treffen“.
Werra-Meißner-Kreis - Erst Anfang des Monats beschloss die Eschweger Stadtverordnetenversammlung den Haushalt der Kreisstadt für dieses Jahr. Die veranschlagten Einnahmen dürften kaum zu halten sein. Klaus Volkmar (FDP), Vorsitzender des Finanzausschusses, bezieht dazu im Interview Stellung.
Herr Volkmar, vor weniger als vier Wochen hat die Kreisstadt Eschwege den Haushalt für dieses Jahr beschlossen. Wie viel ist von der Planung nach den Ereignissen der vergangenen Woche übrig geblieben?
Es gilt zunächst einmal, kühlen Kopf zu bewahren. Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden die kommunalen Haushalte mit voller Wucht treffen. Fraglich ist nur, wie schlimm wird es. Da sind sich auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute noch nicht einig. Die Prognosen reichen von einem Einbruch des Bruttoinlandsproduktes von minus sieben Prozent bis zu minus 20 Prozent. Eine erhebliche Spanne, die zeigt, dass wir angesichts der Situation alle im Trüben fischen.
Corona im Werra-Meißner-Kreis: „Panik führt zu falschen Entscheidungen“
Wo rechnen Sie mit den größten Einnahmeverlusten?
Steuereinnahmen und Zuschüsse stellen den Löwenanteil unserer Einnahmen dar. Im Haushaltsplan 2020 waren hier circa 18 Millionen Euro eingeplant. Da diese Einnahmen von der wirtschaftlichen Entwicklung der Unternehmen, dem Einkommen der Bürger und darüber von deren Kaufverhalten abhängig sind, wird es hier sicher zu Verschiebungen kommen.
Tatsache ist, dass diese Einnahmen immer auf Grundlage der Prognosen des Hessischen Finanzministeriums vorsichtig geplant waren. Die Gewerbesteuereinnahmen wurden für das Haushaltsjahr in Höhe von 7,84 Millionen Euro eingeplant. Hier werden auf jeden Fall niedrigere Einnahmen erwartet.
Wie will die Stadt die geringeren Einnahmen insbesondere bei der Gewerbesteuer und beim Einkommensteueranteil kompensieren?
Ich kann natürlich nicht für den Magistrat sprechen, ich kann nur den persönlichen Rat aussprechen, nicht vorschnell zu reagieren. Denn Panik führt zu falschen Entscheidungen. Erst braucht man ein belastbares Datenmaterial, bevor man Kompensationsmaßnahmen beschließt. Klar ist, wir werden diese Einnahmeausfälle so einfach nicht wegstecken können.
Klar ist auch, wir können nicht unbegrenzt an der Steuerschraube drehen. Das heißt unter Umständen, die gesetzlichen Regelungen für die Kommunen müssen angesichts dieser absoluten Notsituation gelockert werden, und wir müssen für einen begrenzten Zeitraum wieder mit nicht ausgeglichenen Haushalten planen.
Corona im Werra-Meißner-Kreis: Auch Stadtwerke von Krise betroffen
Weitere Einnahmeverluste dürften bei den Eigenbetrieben und Tochtergesellschaften auflaufen. Der Baubetriebshof wird wegen des milden Winters weniger verdienen, die Stadtwerke ebenso. Außerdem ist das Schwimmbad auf nicht absehbare Zeit geschlossen. Wie wird sich das auf den Haushalt auswirken?
Grundsätzlich müssen wir Verluste, die die Eigenbetriebe produzieren, innerhalb von fünf Jahren ausgleichen. Der Baubetriebshof hat aufgrund der vergangenen Winter sowieso schon mit geringeren Erträgen kalkuliert. Bei den Stadtwerken handelt es sich um ein eigenständiges Unternehmen mit einer professionellen und erfolgreichen Geschäftsführung, die sich sicher schon Gedanken gemacht hat, wie sie mit der Krise umzugehen hat.
Klar ist auch, dass durch die Übernahme der Tourismussparte und den Betrieb des Schwimmbads auch die Stadtwerke von der Krise betroffen sind. Trotzdem hoffe ich, dass die Gewinnabführungen, so wie wir sie im Haushalt angesetzt haben, in 2020 auch so ausgeschüttet werden.
Die Kosten für die Kindertagesstätten laufen weiter, die Elternbeiträge sollen ausgesetzt werden. Wie will die Stadt die Mehrbelastungen finanzieren?
Auch wenn es rein rechtlich möglich wäre Elternbeiträge zu erheben, so widerstrebt es mir, für nicht erbrachte Leistungen Elternbeiträge zu erheben. Und ich weiß auch, dass unser Bürgermeister, der für eine familien- und kinderfreundliche Stadt steht, diesen Schritt nicht gehen wird. Wie eine Gegenfinanzierung dieses Einnahmeausfalles aussehen wird, lässt sich jetzt noch nicht abschließend sagen.
Corona im Werra-Meißner-Kreis: „ Wir fahren auf Sicht“
Der Haushalt war ohnehin schon äußerst knapp berechnet. Wo sehen Sie denn jetzt überhaupt noch Spielraum?
Wir werden im Lauf des Jahres sehen, inwieweit der Spielraum ausreicht. Wir fahren auf Sicht; das heißt, derzeit können nur dringend notwendige Ausgaben geleistet werden, und die begonnenen Baumaßnahmen werden fortgeführt. Sollte die Krise in diesem Jahr irgendwann beendet sein, werden wir die Situation neu bewerten und notwendige Korrekturen mit der Aufstellung eines Nachtragshaushaltes vornehmen.
Wird überhaupt noch ein Weg an der eigentlich schon geplanten deutlichen Erhöhung der Grundsteuer, die ja dann nur zum Teil umgesetzt wurde, vorbeiführen?
Die Beantwortung dieser Frage wäre unseriös und würde einer Kaffeesatzleserei gleichkommen. Keiner weiß zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wie lang die Corona-Krise dauert und welche Auswirkungen dies auf die im Haushaltsplan veranschlagten Planzahlen hat. Erst wenn die Ausfälle sich quantifizieren lassen, kann darüber nachgedacht werden, welche Maßnahmen getroffen werden müssen.
Corona im Werra-Meißner-Kreis: Schnelle Hilfe für Unternehmen
Können an anderer Stelle zusätzliche Einnahmen generiert werden?
Meiner Meinung nach, sind Gespräche mit dem Land notwendig, inwieweit eine mögliche Entlastung des städtischen Haushalts durch einen Krisenzuschuss aus Wiesbaden möglich ist. Hier ist der Hessische Städte- und Gemeindebund gefordert.
Ist die Erhöhung der Gewerbesteuer eine Option? Oder muss angesichts der schwierigen Situation nicht genau das gegenteilige Signal in Richtung Wirtschaft gesendet werden?
Viele Unternehmen sind durch die Krise hart getroffen und werden 2020 voraussichtlich weniger Gewerbesteuer zahlen müssen. Durch die beschlossenen Programme der Landes- und Bundesregierung soll schnelle Hilfe geleistet werden, um die Existenz vieler, auch kleinerer Unternehmen zu sichern. Dies ist notwendig und sinnvoll. Eine Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes ist aus meiner Sicht das falsche Signal. Vielmehr müssen auch wir als Stadt den heimischen Unternehmen zeigen, dass wir in so einer Krise an ihrer Seite stehen.
Auch die Situation für den Kreis ist schwierig. Die einzige selbstbestimmte Einnahmequelle ist die Kreisumlage. Rechnen Sie mit einer Erhöhung des Hebesatzes?
Ich hoffe, dass auch hier die Vernunft siegen wird. Wir erwarten, dass ein klares Zeichen gesetzt wird, die finanziellen Risiken nicht auf das schwächste Glied in der Kette, die Kommune, abzuwälzen.
Corona im Werra-Meißner-Kreis: „Bau des Kindergartens höchste Priorität“
Muss die Stadt auf geplante Großprojekte verzichten?
Das wird sicherlich eine Option sein, die alle Fraktionen im Rahmen eines noch irgendwann aufzustellenden Nachtragshaushaltes diskutieren müssen. Es muss eine Prioritätenliste erstellt werden. Die wichtigsten Investitionen sollten weiter zügig durchgeführt werden. Nachrangige Projekte sind vor den veränderten Rahmenbedingungen neu zu bewerten und gegebenenfalls zu verschieben oder aber zu streichen.
Welche werden das sein? Was steht infrage? Freibad? Kunstrasenplatz? Neuer Kindergarten? Andere Vorhaben?
Der Bau des Kindergartens genießt meines Erachtens die höchste Priorität und sollte zügig vorangetrieben werden. Hier stehen wir in der Pflicht. Begonnene Bauprojekte sind fertigzustellen. Aber diese Prioritätensetzung muss im politischen Raum diskutiert werden. Ich hoffe, dass hier alle Parteien an einem Strang ziehen und auf parteipolitisches Geplänkel verzichten, um zum Wohl Eschweges und seiner Bürger vernünftige Sachentscheidungen zu treffen. Die Jugendorganisationen unserer Parteien im Werra-Meißner-Kreis haben uns das vorgemacht. Ich denke, die Eschweger Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung können das auch.
Zur Person
Klaus Volkmar (57) sitzt für die FDP in der Eschweger Stadtverordnetenversammlung und ist Vorsitzender des Finanzausschusses. Volkmar ist von Beruf Steuerberater und Mitinhaber der Steuerberatersozietät Volkmar & Wenk in Eschwege. Er ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Söhne. Sportbegeistert verbringt er seine Freizeit gerne in der Natur entweder selbst als aktiver Sportler oder aber als Leichtathletiktrainer in der Jugendarbeit des Eschweger TSV.
Von Harald Sagawe
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