Kathrin Beyer über die Vereine nach der Pandemie

Vereine sind der Kitt, der die Gesellschaft – gerade in ländlichen Regionen – zusammenhält. Kaum jemand hat aber mehr unter der Pandemie gelitten als die ehrenamtlich organisierten Institutionen. Wir sprachen mit Kathrin Beyer von Omnibus - der Freiwilligenagentur, was Vereine jetzt brauchen und wie es insgesamt mit der Vereinslandschaft in der Region bestellt ist.
Frau Beyer, wie sind die Vereine in unserem Landkreis durch die Pandemie gekommen?
Unterschiedlich. Für uns ist das im Moment nicht einfach zu beantworten, weil die Vereine für uns nicht wirklich gut erreichbar gewesen sind. Wir möchten in unserer Arbeit gerne neu anknüpfen und in Kommunikation mit den Vereinen treten.
Es gibt etwa 1000 Vereine im Kreis. Wie wollen sie die jetzt erreichen?
Wir haben eine Umfrage erarbeitet, über die wir anonymisiert mit den Vereinen in Kontakt treten möchten. Diese Umfrage wird in der Regel online beantwortet, kann aber auf Nachfrage auch in Papierform von uns zur Verfügung gestellt werden. Bisher haben sich an der Umfrage etwas mehr als 50 Vereine beteiligt. Es wäre toll, wenn wir auf eine Beteiligung von 100 kämen, die die Umfrage bis zum Ende beantworten.
Was wollen Sie von den Vereinen wissen?
Uns interessiert, welche Bedürfnisse die Vereine aktuell haben und wie wir als Omnibus ihnen da zur Seite stehen können. Ziel der Umfrage ist ein Update zur aktuellen Situation. Die Pandemie hat ja alles durcheinandergewirbelt.
Was hat die Pandemie mit den Vereinen gemacht?
Die vergangenen zwei Jahre haben allen viel abverlangt. Stillstand ist eingekehrt, weil Vereinsarbeit zum Erliegen gekommen ist, Mitglieder haben gekündigt, Engagierte mussten ihr Engagement ruhen lassen – aktuell fehlt die nötige Energie für den Neuanfang und es ist auch weiterhin Vorsicht geboten.
Wer hat besonders gelitten?
Vereine, die eher unflexibel in ihrer Ausrichtung sind. Beispielhaft hierfür stehen vielleicht Männergesangvereine. Neben der Schwierigkeit, jüngere Mitglieder zu gewinnen und auch einen Chorleiter zu finden, ist der Vereinszweck oft sehr begrenzt mit Gesangsproben und öffentlichen Auftritten. Beides war in den vergangenen zwei Jahren oft nur schwer umsetzbar.
Und welche Vereine kamen (bisher) gut durch die Krise?
Die Vereine, die digital gut aufgestellt sind und die, die Bereitschaft für Veränderungen mitbringen. Die Landfrauen sind da ein gutes Positivbeispiel. Hier hatte ich in den vergangenen Tagen ein Telefonat mit einer Vorsitzenden eines Landfrauenvereins. Sie erzählte von den neuen Wegen, die sie gegangen sind. Mit diesen neuen Wegen konnten sie auch während der Pandemie mit ihren Mitgliedern in Kontakt bleiben. Das hat durchaus geholfen, aktuell das Miteinander wieder aktiv mit Leben zu füllen.
Vereine haben eine teils über Jahrhunderte gewachsene Struktur in Deutschland. Kann die Pandemie dieser Struktur gefährlich werden?
Viele Vereine haben es mit viel Engagement und Kreativität geschafft, durch die letzten zwei Jahre zu kommen. Aber das hat Kraft gekostet. Wiederkehrende Einschränkungen werden/könnten das Vereinsleben immer wieder ausbremsen. Aber wir brauchen die Begegnung und das Miteinander. Beides bieten Vereine an, sodass diese Struktur meines Erachtens viel stärker ist.
Wie kann Omnibus unterstützen, das Vereinsleben zu aktivieren?
Fortbildung ist ein wichtiger Baustein der Engagementförderung. Das Ergebnis des Vereinsmonitors bietet uns einen Aufschluss über die Bedarfe der Vereine. Mit diesem Wissen möchten wir den Vereinen im kommenden Jahr bedarfsorientiert Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote anbieten.
Wie ist es denn um die Vereinslandschaft im Werra-Meißner-Kreis bestellt?
Die Struktur ist stark. Im ländlichen Raum trägt man die Vereinsstruktur von Kind an in sich. Fast jeder ist in irgendeinem Verein Mitglied. Die Suche nach Vereinsmitgliedern, die vorangehen und Vorstandsarbeit übernehmen, hat sich allerdings verschärft. Und nicht nur im Werra-Meißner-Kreis ist es eine Schwierigkeit, neue Freiwillige für den Verein zu gewinnen, was den Bestand durchaus langfristig gefährden kann. Mitglieder allein tragen nicht dazu bei, dass ein Verein gut aufgestellt ist. Wichtig sind die engagierten Mitglieder, die ein Vereinsleben durch ihr Engagement erst ermöglichen.
Warum?
Die Anforderungen an die Vorstandsarbeit und die stetig wachsende Verantwortungsübernahme verlangt den Engagierten viel ab. Hinzu kommen die Anforderungen und Rahmenbedingungen im beruflichen Alltag – lange Wege zur Arbeit und damit einhergehende Fahrzeiten sind ein kleines Beispiel. Mal sehen, ob Homeoffice und mobiles Arbeiten langfristig positive Auswirkungen auf das Vereinsleben haben werden.
Zur Person
Kathrin Beyer (54) hat Geografie studiert und wohnt inzwischen in Eschwege. Vor ihrer Anstellung in der Freiwilligenagentur hat sie sich bei der Landeskirche für den Weltgebetstag engagiert. Bei Omnibus arbeitet sie seit 2009 und ist damit von Anfang an am Projekt beteiligt. Kathrin Beyer ist verheiratet und Mutter von vier erwachsenen Kindern. ts
Was kann man dagegen tun?
Hier gibt es keine pauschalen Lösungen, das wäre zu einfach. In einem Modellprojekt 2014 „Ehrenamt sicher in die Zukunft“ wurde sich über eine längere Zeit intensiv mit den Vereinen in drei Kommunen im Werra-Meißner-Kreis auseinandergesetzt. Ein Ergebnis dieses Modellprojektes war die Frage nach der Umsetzung eines Dorfvereins, in dem sich alle Vereine als Sparte wiederfinden, um so engagierte Ressourcen gerade auch im Bereich der Vorstandsarbeit zu bündeln. Die Umsetzung einer solchen Struktur ist denkbar, aber am Ende wohl nicht attraktiv. Die Vereine benötigen langfristig engagementfördernde Angebote und Strukturen, die sie in ihrer Vereinsarbeit viel stärker unterstützen als wir es durch Qualifizierungs- und Fortbildungsangebote leisten können und natürlich die Bereitschaft von Bürgern, sich in ihnen zu engagieren.
Warum ist die Idee des Dorfvereins nicht angekommen?
Viele Vorstände hatten Bedenken, Kontrolle abzugeben. Sie hatten Angst, dass ihr Verein in der neuen Struktur benachteiligt wird. Dabei hätte es in erster Linie Entlastung in der Verwaltung und den Finanzen bedeutet, was sich damals schon viele Vorstände gewünscht haben.
Werden Vereine heutzutage ausgenutzt?
Da müssen wir sensibel hinschauen. Wir erleben ja durchaus, dass Vereine Aufgaben übernehmen, die ehemals nicht über Vereinsstrukturen funktionierten, sondern zum Beispiel in der Verantwortung der Kommunen lagen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Heute werden Schwimmbäder durch engagierte Vereine getragen, wir haben ehrenamtlich getragene Bürgerbusse, die das Angebot des Nahverkehrs ergänzen. Gerade im ländlichen Raum können wir wahrnehmen, das engagierte Strukturen eine wichtige Rolle in der Daseinsvorsorge spielen. Wenn diese Strukturen gut unterstützt und anerkannt werden, dann können sie eine Bereicherung sein und tragen dazu bei, dass das Leben gerade im ländlichen Raum lebenswert ist. Bei den Freiwilligen Feuerwehren ist der Grat schmal. Sie übernehmen schon die überaus wichtige Daseinsvorsorge in Notfällen und sind eine kommunale Pflichtaufgabe. Für dieses Engagement ist es wichtig, dass der Staat seiner Aufgabe gerecht wird, hier die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass Freiwillige Feuerwehren ihrem Auftrag gerecht werden können. Das bedeutet nicht, dass Freiwillige Feuerwehren für diese guten Rahmenbedingungen selbst Sorge zu tragen haben.
Von Tobias Stück