Wenn jedes Kilowatt zählt: Betreiber kleiner Wasserkraftwerke hoffen auf Umdenken

Bischhausen – Die Betreiber der etwa 670 Kleinwasserkraftwerke in Hessen hoffen angesichts der Energiekrise, dass das drohende Aus ihrer Kraftwerke vielleicht doch noch abgewendet werden kann.
Dabei setzen die Betreiber der kleinen Wasserwerke, die pro Jahr allein in Hessen immerhin rund 120 Gigawattstunden Strom produzieren – das entspricht in etwa dem Jahresverbrauch einer Stadt wie Gießen – auf die Aussage von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der im Juni sagte: „Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.“
Unterstützt werden die Kleinkraftwerksbetreiber jetzt unter anderem von der SPD-Fraktion im hessischen Landtag, die für heute einen Bericht des Wirtschaftsministers im Wirtschaftsausschuss eingefordert hat.
Grund für das drohende Aus der Kleinwasserkraftwerke ist der sogenannte hessische Mindestwassererlass, der aus der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie resultiert. Demnach sollen zum Schutz der Gewässer ein deutlich höherer Durchfluss stattfinden und etwa 3,5-mal so viel Wasser an den Turbinen der kleinen Kraftwerke vorbeigeführt werden.
Anlage über weite Teile des Jahres stilllegen
In der Realität bedeutet das beispielsweise, dass Jörg Reinhard, der mit seinem Wasserkraftwerk in Wichmannshausen im Jahr bis zu 200.000 Kilowattstunden Strom produziert, nur noch 21 Prozent der bisherigen Wassermenge aus der Sontra über die Turbinen laufen lassen dürfte. „Das bedeutet, dass ich meine Anlage über weite Teile des Jahres stilllegen müsste“, sagt er. „Wenn die Anlage monatelang im Wasser steht, ist sie irgendwann kaputt.“
Ähnlich geht es Eduard Saakel, dessen Mühlgraben von der Wehre abzweigt. Er erzeugt etwa 150.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr in seinem Wasserwerk, womit sich 52 durchschnittliche Haushalte versorgen ließen. „Wenn ich, wie laut der Mindestwasserverordnung gefordert, den Durchfluss in die Wehre von 90 Litern je Sekunde auf 350 anheben muss, würde es nur noch für 35 Haushalte reichen“, hat Saakel ermittelt. „Über jede Kilowattstunde wird derzeit diskutiert. Wer soll das noch verstehen“, sagt er. Er ist im vergangenen Jahr mit seiner Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Verordnung gescheitert (WR berichtete). Ende September dieses Jahres hat er nun die Anordnung zur Umsetzung erhalten. Allerdings, so habe ihm die Obere Wasserbehörde mitgeteilt, werde der „Vollzug nicht überwacht“.
Ideologische Politik ohne Rücksicht auf Verluste
Saakel hat ein neues Gutachten erstellen lassen und setzt auf die Neuerungen des Erneuerbaren Energiegesetzes (EEG) aus diesem Jahr. In dem Gesetzentwurf war die kleine Wasserkraft zunächst ausgeklammert worden, in letzter Minute allerdings aufgenommen worden, weil sie als von „überragendem öffentlichen Interesse“ ist. Auf diesen entscheidenden Punkt will sich auch Jörg Reinhardt berufen, sollte er den Klageweg bestreiten. „Wegen des neuen Gesetzes wäre die Lage jetzt ganz anders zu bewerten.“ „Die Landesregierung vollzieht gegen die kleine Wasserkraft – und dies in Zeiten, wo jede Kilowattstunde zählt“, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Knut John. Er will sich für ein Umdenken bei der Regierung einsetzen.
Die hessische Mindestwasserverordnung
Der Mindestwassererlass der hessischen Umweltministerin Priska Hinz trat 2017 in Kraft. Er soll die Fische schützen. Fischtreppen und Umgehungsgewässer brauchen im Sommer genügend Wasser, um das Überleben der Fische zu sichern. Gegenüber der alten Gesetzeslage verdrei- bis vervierfacht der jüngste Erlass die an Fischtreppen und Umgehungsgewässer abzugebende Mindestwassermenge – Wasser, das nicht mehr zur Stromerzeugung zur Verfügung steht. 2020 sagte der Dr. Werner Neumann vom BUND-Vorstand, dass der Beitrag der kleinen Wasserkraft zum Klimaschutz nur marginal sei. Diese erzeugten gerade 0,1 Prozent des Strombedarfes in Hessen, richten aber hohen ökologischen Schaden an.
Von Stefanie Salzmann