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„Das macht ein bisschen Angst“ - Corona-Mutation? Drosten wagt beunruhigende Prognose

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Von: Marcus Giebel, Franziska Schwarz

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Virologe Drosten ist derzeit erleichtert, dass die Corona-Pandemie in Deutschland bisher recht glimpflich ablief. Doch er hat eine Befürchtung, die selbst ihm Angst macht.

München - Die Corona-Pandemie hat bislang unbekannte Gesichter auf die öffentliche Bühne gespült. Menschen, die zu Jahresbeginn noch völlig unbehelligt durch die Straßen spazieren konnten, nun aber selbst mit Schutzmaske* an der Supermarktkasse erkannt werden. Zu den berühmtesten dieser neuen Prominenten zählt Christian Drosten*, der sich regelmäßig per Podcast zu den neuesten Erkenntnissen über das Virus äußert.

Das Wort des gebürtigen Emsländers hat Gewicht. Weil er von der ersten Woche an voranging und bei allem als Stimme der Vernunft gilt. Zumindest in weiten Teilen der Bevölkerung, denn natürlich bringt ein steigender Bekanntheitsgrad auch immer unliebsame Nebenwirkungen mit sich.

Drosten in der Corona-Krise: Virologe bekommt bekommt Hassnachrichten

Davon weiß auch der Institutsdirektor der Charité Berlin zu berichten. So habe ihn eine Hassnachricht bestehend aus einem Blutserum sowie der Botschaft „trink das - dann wirst du immun“ erreicht, wie Drosten im Spiegel-Interview (Artikel hinter Bezahlschranke) erklärt. Böse Botschaften seien mittlerweile „zur Normalität geworden, oft handelt es sich um völlig irre Texte voller Rechtschreibfehler, manche Schreiberlinge sind einfach nur bemitleidenswert, andere hoch narzisstisch, maliziös und manipulativ“.

Weit schlimmer sei eine Fotomontage gewesen, die ihn gemeinsam mit dem berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele zeigt. Zur Erinnerung: Der so genannte Todesengel hatte während der Nazi-Herrschaft Zehntausende Menschen in den Tod geschickt, sich jedoch seiner Verantwortung durch Flucht entzogen. Das manipulierte Bild sei zur Anzeige gebracht worden.

Virologe Drosten wird in der Corona-Krise angefeindet

Grundsätzlich stellt Drosten fest: „Ich glaube, ich habe ein dickeres Fell bekommen. Das ist für mich ganz gut, weil ich eigentlich nicht der Typ bin, der sich gut vor solchen persönlichen Anfeindungen schützen kann.“ Er sieht aber auch das Positive: „Daran kann man schon so ein bisschen, na ja, reifen.“

Ein dickes Fell erfordert auch der von der Bild-Redaktion losgetretene Disput um das Ergebnis einer Studie zur Ansteckungsgefahr durch Kinder. Das Boulevardblatt wirft dem Virologen methodische Fehler vor und verweist dabei auf Aussagen anderer Forscher. Unter anderem hatte Alexander Kekulé Kritik geübt.

Drosten in der Corona-Krise: Keine brauchbaren Studien zur Ansteckungsgefahr durch Kinder

Das Studienergebnis könnte zur Folge haben, dass sich die Wiederöffnung von Schulen und Kitas verzögern. Im Spiegel erklärt Drosten nun die Problematik bei dieser Arbeit. „Zu dieser wichtigen Frage fehlen leider brauchbare Studien, immer noch. Und solange die Schulen geschlossen sind, kann man solche Studien auch nicht machen“, so der Corona-Experte.

Deshalb habe der Fokus darauf gelegen, „wie viele Viren im Rachen von infizierten Kindern stecken“.  Sein Team sei zu der Erkenntnis gelangt: „Man sieht in unseren Daten eigentlich auf den ersten Blick, dass Kinder, die keine Symptome haben, mitunter eine Viruslast haben, die genauso hoch ist wie die von erwachsenen Covid-19-Patienten.“

Drosten in der Corona-Krise: Bild-Zeitung kommt in seinem Alltag nicht vor

Eingeflossen seien auch die Anregungen von Statistikexperten. Wobei ihm wichtig ist zu betonen, dass sich die von der Bild als Speerspitze der Kritik zitierten Fachleute bereits selbst von dem entsprechenden Zeitungsartikel distanziert hätten. Zugleich lässt es sich Drosten nicht nehmen, einen Seitenhieb auf Deutschlands auflagenstärkste Zeitung zu verteilen: „Das letzte Mal, dass ich die Bild gelesen habe, das war zu Zeiten von ‚Bumm-Bumm-Boris‘. In meinem Alltag kommt die Bild-Zeitung nicht vor. Niemand in meinem Bekanntenkreis liest das Blatt.“

Die via Twitter herangetragene Aufforderung eines Bild-Redakteurs, binnen einer Stunde Stellung zur Studie zu beziehen, ignorierte Drosten laut eigener Aussage nicht nur, weil dies in dem engen Zeitrahmen nicht zielführend zu bewerkstelligen gewesen wäre. Denn: „Ich hatte auch nicht den Eindruck, als sei die Bild-Zeitung wirklich daran interessiert, das wissenschaftliche Problem zu verstehen. Es war klar, dass sie einen tendenziösen Artikel planten.“

Drosten in der Corona-Krise: Tests ab Mitte Februar möglich

Trotz all dieser negativen Erfahrungen zieht der Familienvater viel Positives aus den vergangenen Wochen. Es sei auch der schnellen Reaktion von ihm und seinem Team zu verdanken, dass Deutschland sehr glimpflich durch die Corona-Krise gekommen sei: „Wir hatten Mitte Februar die Universitätskliniken so weit, dass sie die Diagnostik machen konnten, und oft haben die ihr Wissen und Material dann an andere Labore weitergegeben. Mitte Februar waren wir in Deutschland in der Lage, dass wir routinemäßig auf Sars-CoV-2 testen konnten. Das hat es in kaum einem anderen Land gegeben.“

Bereits zur Karnevalszeit habe der Fall eines Infizierten aus Baden-Württemberg, der vorher nicht verreist war, aufgezeigt: „Das Virus verbreitete sich bereits unbemerkt in Deutschland.“ Es sei somit möglich gewesen, einen Vorsprung von einem Monat gegenüber Sars-CoV-2 zu erarbeiten. Dies sei der Zeitrahmen „von der Infektion* bis zum Tod auf der Intensivstation“.

Drosten in der Corona-Krise: Ohne frühe Tests bis zu „100.000 Tote mehr“

Drosten mutmaßt: „Das ist der Grund dafür, dass wir heute so gut dastehen. Wenn wir nicht so früh hätten testen können, wenn wir Wissenschaftler nicht die Politik informiert hätten - ich glaube, dann hätten wir in Deutschland jetzt 50.000 bis 100.000 Tote mehr.“ Kritik am Shutdown kann er deswegen auch nicht nachvollziehen, denn es sei „mit vergleichsweise milden Maßnahmen eine Pandemiewelle gestoppt“ worden.

„Ich finde, man sollte den Corona-Leugnern sagen: Schaut ins Ausland. Wir haben in Deutschland etwas geschafft, das kein vergleichbares Land der Welt hinbekommen hat“, schreibt Drosten den Verschwörungstheoretikern ins Hausaufgabenheft. Und Kritikern, die angesichts der eintretenden Lockerungen ein Zurückrudern erkennen wollen, hält er entgegen: „Hat irgendjemand ernsthaft gedacht, dass wir einen Shutdown machen, um den nie wieder aufzuheben?“

Drosten in der Corona-Krise: Navigator statt Kapitän oder Steuermann

Wobei der Wahl-Berliner seine eigene Position dabei nicht zu hoch hängen will: „Meine Rolle in der Politikberatung wird heftig übertrieben. Das ist weitgehend eine Legende.“ Er sei keineswegs „der Kapitän, auch nicht der Steuermann, höchstens vielleicht ein Navigator. Ich lese die Karten.“ Was ja nicht weniger wichtig ist. Kult-Trainer Jürgen Klopp steht Drosten nun zur Seite und mahnt, dessen Rolle nicht falsch zu interpretieren. 

Dabei wird Drosten aber eben nicht nur von Kritikern verteufelt, sondern von weit mehr Bürgern verehrt. Das wiederum ist ihm dann doch unangenehm: „Es gibt in Deutschland wirklich bessere Wissenschaftler als mich in der Virologie. Ich glaube, keiner von denen hält mich für den besten. Ich stehe jetzt nur im Mittelpunkt, weil ich an diesem Virus arbeite.“

Drosten in der Corona-Krise: Kleine Feiern im Freien wohl möglich

Sein bisheriges Werk in der Corona-Krise lässt einen positiven Blick in die Zukunft zu. „Es könnte durchaus sein, dass uns das Virus jetzt eine ganze Weile in Ruhe lässt“, frohlockt Drosten: „Vielleicht entgehen wir einem zweiten Shutdown.“ Sein vorsichtiger Vorausblick für die kommenden Wochen: „Feiern könnte gehen, wenn es draußen stattfindet und es nicht zu viele Leute sind, die da zusammenkommen. Das kann man sich durchaus vorstellen für diesen Sommer.“

In dem durch eine angepasste Taktik wohl die Testkapazitäten konzentrierter verteilt werden können: „Es gibt neuere Berechnungen, die sehr klar sagen: Wenn ein Ausbruch bemerkt wird, braucht man gar nicht erst anzufangen, alle möglichen Kontaktpersonen zu testen. Damit kommt man immer zu spät, zwangsläufig.“ Der neue Weg sehe vor: „Stattdessen kommen einfach sämtliche Kontaktpersonen in Quarantäne*. Und zwar nicht mehr 14 Tage, sondern nur noch eine gute Woche. Die Inkubationszeit und die Zeit, in der man ansteckend ist, das alles ist nämlich deutlich kürzer als anfangs gedacht.“

Drosten in der Corona-Krise: Jetzt schon Vorbereitungen für den Winter treffen

Wie Kollege Hendrik Streeck führt auch Drosten die wohl anstehende Corona-Entspannungsphase auf die steigenden Temperaturen im Sommer zurück. Entsprechend sollten die kommenden Wochen aber auch dafür genutzt werden, Vorkehrungen für wahrscheinlich wieder steigende Infektionszahlen in Richtung Winter zu treffen „indem wir Richtlinien darauf abstimmen, Testlogistik neu planen, uns überlegen, wie wir beginnende Ausbrüche verfolgen“. Sicher sei bereits jetzt, „dass es auch im Herbst und Winter noch keine Kongresse und Konferenzen geben wird“. Reine Vorsichtsmaßnahmen.

Wobei auch der Virologe betont: Die Gefahr einer Virus-Mutation ist nie gebannt. „Es kann sicherlich optimiert werden durch die Evolution - das macht mir schon ein bisschen Angst. Und wie das dann aussieht, ob es tödlicher wird - wir wissen es nicht“, stochert auch Drosten im Dunkeln: „Ich will auch nicht den Teufel an die Wand malen, aber man vermutet ja, dass so etwas auch bei der Spanischen Grippe 1918 passiert ist: dass das Virus gen Winter mutierte.“ Der damaligen Pandemie fielen Schätzungen zufolge bis zu 50 Millionen Menschen zum Opfer.

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Drosten in der Corona-Krise: „Auf extrem gutem Weg bei Impfung“

Aber das wäre eben nur der Worst Case. Tritt dieser nicht ein, könnte schon bald eine wirksame Waffe gegen Sars-CoV-2 zum Einsatz kommen. Drosten äußert da eine besondere Hoffnung für den kommenden Frühling: „Ich verlasse mich darauf, dass es bis dahin nicht nur einen Impfstoff* gibt. Das läuft in Deutschland ein bisschen im Hintergrund, aber wir sind auf einem extrem guten Weg bei der Impfung.“ Oder geht es vielleicht auch ohne Impfstoff? Ein Wissenschaftler hat einen gewagten Plan.

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*merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerk.

mg, frs 

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