Energie-Krise: Sozialer Frieden in Gefahr? Geheimdienst warnt vor „deutschem Wutwinter“

Während der Corona-Krise radikalisieren sich Teile der Bevölkerung. Jetzt erwarten Experten Proteste wegen der Gas-Krise und Inflation.
Berlin - Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und steigende Preise: Die aktuellen Krisen könnten soziale Spannungen nach sich ziehen. Der momentane Gas-Notstand verstärkt diese Angst bei Sicherheitsbehörden und Politik.
„Wenn die Preissteigerungen viele Menschen hart treffen und wir zusätzlich im Herbst noch eine starke Corona-Welle erleben, dann ist das Potenzial für Mobilisierung und Radikalisierung da“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dem Spiegel. In Thüringen vermutet Bodo Ramelow (Linke), dass sich AfD, Reichsbürger und offenere Rechtsextremisten auch für Proteste gegen hohe Preise verbünden, ähnlich wie dies bei den Corona-Protesten bereits der Fall war, wie AFP schreibt.
Wird die Krise zur Gefahr? Verfassungsschutz warnt vor „deutschem Wutwinter“
Der „inhaltliche“ Übergang von Anti-Corona-Protesten hin zu „Energiekrise und Preissteigerungen“ sei an manchen Stellen bereits „nahtlos“, sagte der niedersächsische Verfassungsschutzchef Bernhard Witthaut laut AFP. In Brandenburg spricht der Chef des Inlandsgeheimdienstes gar davon, dass Extremisten auf einen „deutschen Wutwinter“ hoffen würden.
Zwischen 7 und 15 Prozent der Menschen in Deutschland seien sehr unzufrieden mit der Politik insgesamt, so das Fazit des Institutes für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. Der Direktor des Institutes, Ortwin Renn, prognostiziert eine „Zerreispobe“ für den Sozialen Frieden im Herbst und Winter.
Corona-, Energie- und Klima-Krise: Mental für Viele nur schwer zu verarbeiten
Inflation und Energiekrise, Corona-Krise und Auswirkungen des Klimawandels, diese Vielfältigkeit der Krisen, würde viele Menschen mental überfordern, was „die Sache wirklich kritisch macht“, gibt der Risikoforscher zu verstehen.
Maßnahmen müssten von der Politik sozial ausgewogen gestaltet und transparent gemacht werden. Denn der Hauptpunkt bei einem drohenden Gas-Stopp sei die „Gerechtigkeitsfrage“, weshalb „die Menschen erwarten, dass man sich nicht auf Kosten der Krise profiliert“, zitiert die dpa den Soziologen.
Gas-Umlage wird die Belastungen verschärfen: So reagiert die Politik
Im Herbst wird dann auch die Gas-Umlage zum Tragen kommen. Diese erlaubt Gas-Versorgern, die höheren Preise, die sie für nicht russisches Gas zahlen, an die Endverbrauchenden weiter zugeben, was eine zusätzliche Belastung für die meisten Haushalte in Deutschland bedeutet. Jeder zweite Haushalt wird mit Gas-Energie beheizt.
- Gas-Umlage in Deutschland - das kommt auf die Haushalte zu:
- Betroffen: Etwa die Hälfte der deutschen Haushalte wird derzeit mit Gas-Energie beheizt.
- Teuerung: Die Umlage der gestiegenen Importkosten könnte zu einer Erhöhung der Gas-Preise um 2 Cent pro Kilowattstunde (kWh) führen. Aktuell liegt der Durchschnittspreis bei 13,77 Cent/kWh. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 waren es noch 6,11 Cent/kWh.
- Mehrkosten: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von 200 bis 300 Euro, die eine Familie mit vier Personen durch die Umlage pro Jahr mehr zu zahlen haben könnte.
- Quelle: dpa/vergleich.de
Im Zuge der Gas-Umlage hat Olaf Scholz weitere Entlastungen angekündigt. Sein Parteikollege und SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch hat sich am Samstag (30. Juli) für weitere Entlastungen im Herbst ausgesprochen, wie die dpa berichtet.
„Gerechtigkeit first, Bedenken second“: Wird die Ampel-Regierung die Krise(n) überstehen?
Noch klarer waren die Forderung aus den Reihen der Grünen. „Wenn wir jetzt eine Gasumlage machen, dann müssen gleichzeitig weitere Entlastungen kommen - also noch in diesem Jahr, in diesem Herbst, müssen wir Entlastungen auf den Weg bringen“, äußerte sich die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang am Sonntag (31. Juli) im ZDF.
Um den sozialen Zusammenhalt zu sichern, sprach sich die Politikerin für eine Finanzierung durch eine Übergewinnsteuer aus. Mit einer offensiven Kritik in Richtung Christian Lindner (FDP) sagte Lang wörtlich: „Wir sehen jetzt, dass Unternehmen wie Shell einen explodierenden Gewinn gemacht haben. Das ist wirklich mal ein Punkt, wo ich sagen würde, Gerechtigkeit first, Bedenken second.“ Ob es die Ampel-Regierung am Ende schaffen wird, den sozialen Frieden zu erhalten und gerade auch die unteren Einkommensschichten in der Krise zu stützen, wird wohl erst der Herbst zeigen. (Lucas Maier)