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Stiftung Warentest: So werden Fahrzeuge, Spielzeug & Co. auf Herz und Nieren getestet - Zu Besuch im Geheimlabor

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Von: Cornelia Schramm

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Auf Stippvisite im Geheimlabor: Holger Brackemann begutachtet ein City-Fahrrad beim Bremstest.
Auf Stippvisite im Geheimlabor: Holger Brackemann, Leiter des Bereichs Untersuchungen bei der Stiftung Warentest, begutachtet ein City-Fahrrad beim Bremstest. © Stiftung Warentest

Sie reißen Barbies den Kopf ab oder bringen Geschirrspüler zum Rauchen. Alles im Dienste der Sicherheit. Die Prüfer der Stiftung Warentest testen alles, was die Deutschen benutzen.

München – „Das hier ist definitiv nichts für Kinderaugen“, sagt Holger Brackemann und öffnet die Tür zum Labor. Bunte Kinder-rasseln, Plüschtiere und Spielautos liegen im Regal. In der einen Ecke steht ein Glaskasten mit Gasanschluss und Rauchabzug, in der anderen ein mechanisches Wurfgeschoss. Ein Untersuchungstisch steht in der Mitte des Raumes – darauf eine Puppe, völlig entblößt. Ihr Kopf ist abgetrennt, das blonde Haar ausgezupft, ein Auge ausgekratzt, Kleid und Oberkörper in Stücke zerpflückt. „Eine echte Folterkammer eben“, scherzt Brackemann.

Stiftung Warentest: Schadstoffen in den Produkten der Deutschen auf der Spur

Seit 20 Jahren leitet der 60-Jährige den Bereich Untersuchungen bei der Stiftung Warentest*. Er sieht Puppen wie diese nicht mehr nur als Spielzeug, sondern als Prüfobjekt. Wie leicht brennt sie? Treten dabei Schadstoffe aus? Könnten ihre Einzelteile von Kindern verschluckt werden oder bestimmte Inhaltsstoffe schädlich sein, wenn sie daran lutschen? „Die Puppe könnte Schwermetalle, kurzkettige Chlorparaffine oder andere Stoffe enthalten. Daher prüfen wir in unterschiedlichen Tests immer jede Komponente einzeln“, sagt der promovierte Chemiker.

Zu polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK*) etwa, hat der Berliner ein besonderes Verhältnis. „Sie motivieren mich“, sagt er. „Vor Jahren hat die Stiftung Warentest als Erster damit begonnen, Materialien auf diese Weichmacher zu prüfen.“ Dass gewisse Verbindungen sogar krebserregend sind, war bekannt. „Das Gros der Griffe mit Grip* – von Werkzeug über Staubsauger bis hin zu Spielzeug – enthielt damals aber PAK“, sagt Brackemann. Als die Stiftung Warentest es im Hammer-Set eines Discounters entdeckte, nahm dieser es vom Markt.

Nichts für Kinderaugen: Die Stiftung Warentest zerlegt Puppen für die Schadstoffprüfung in ihre Einzelteile.
Nichts für Kinderaugen: Die Stiftung Warentest zerlegt Puppen für die Schadstoffprüfung in ihre Einzelteile. © Stiftung Warentest

„Das Ergebnis ging um die Welt, und die EU regulierte seine Verwendung per Gesetz“, sagt der Tester. „Das macht einen als Wissenschaftler stolz.“ Das Gefühl, zumindest ein klein wenig auch Weltverbesserer zu sein, wuchs, als wegen PAK auch Spielzeug vom Markt genommen wurde. Gute Noten verteilt er zwar gerne. „Das Aufspüren kritischer Sachverhalte ist aber spannender.“

Stiftung Warentest: Einkäufer besorgen „undercover“ im ganzen Land Testprodukte

Als „Ober-Tester“ steht Brackemann nicht mehr selbst im Labor. Auch, weil die Stiftung Warentest keine eigenen hat, sondern unabhängige Labore und Prüfinstitute in ganz Deutschland beauftragt, die von ihnen ausgewählten Produkte zu testen. Rund 25.000 sind es pro Jahr. Heute ist Brackemann in einem Prüfinstitut irgendwo in Franken, um mal wieder Laborluft zu schnuppern und Prüfern über die Schultern zu schauen. Ihre Namen und ihr Arbeitgeber müssen streng geheim bleiben. Hersteller, die hier ihre Waren testen lassen, sollen nicht wissen, dass die Stiftung hier ebenfalls testen lässt.

Immer wieder wird die Stiftung verklagt - so arbeiten die Tester der Nation wirklich:

Die wichtigsten Fakten zur Stiftung Warentest im Überblick:

Neutralität ist das oberste Gebot der Stiftung Warentest. Aber wie bleibt sie unabhängig? Laut Satzung darf sie keine Einnahmen durch Werbeanzeigen erzielen. 1964 vom Bundestag gegründet, will die Stiftung Warentest so frei vom Einfluss von Herstellern und Dienstleistungsanbietern bleiben. 

Wie finanziert sich die Stiftung Warentest? Weil die Stiftung keine Werbeeinnahmen erzielen darf, bekommt sie eine jährliche Ausgleichszahlung vom Staat. Diese macht aber nur 3,4 Prozent der fast 62 Millionen Euro an Einnahmen aus (Stand 2020). Zum Großteil finanziert sich die Stiftung durch die Publikation ihrer Testergebnisse, also durch den Verkauf ihrer Bücher, Zeitschriften und die kostenpflichtige Internetseite. Für 1,50 Mark erschien 1966 das erste Heft. Heute kostet „test“ 6,90 Euro. 8,7 Prozent der Einnahmen werden durch „Markenlizenzen“ erzielt – für die Verwendung der Siegel müssen Hersteller zahlen.

Wie werden Tests durchgeführt? An einer Untersuchung sind meist bis zu drei Institute beteiligt. Die Produkte, die die Stiftung in rund 100 unabhängigen Instituten nach wissenschaftlichen Methoden testen lässt, kaufen Einkäufer zuvor anonym im Handel. Neben jährlich rund 25.000 Produkten testet die Stiftung verdeckt etwa auch Banken und Versicherungen.

Wie wird entschieden, was getestet wird? Seit 1964 hat die Stiftung Warentest über 100.000 Testvergleiche durchgeführt. Die Themen ergeben sich seither einerseits durch Vorschläge aus dem Kuratorium, der Anbieter, der Verbraucherzentralen sowie der Prüfinstitute. Andererseits liefern Nutzer der Internetseite und Leser ebenso Vorschläge wie die eigenen Mitarbeiter. „Wir testen meist Produkte für die breite Masse. Nischenprodukte wie Weinkühlschränke eher nicht – aber man weiß nie“, sagt Holger Brackemann, der den Bereich Untersuchungen leitet.

Wie wird benotet? Die Stiftung Warentest vergibt Noten von „sehr gut“ bis „mangelhaft“. Diese Gesamtnote setzt sich aus den einzeln geprüften Eigenschaften zusammen. Bei Haushaltsgeräten sind das etwa Funktion, Handhabung, Haltbarkeit, Strom- und Wasserverbrauch, Lärmbelastung sowie Sicherheit. Häufig hat die Stiftung höhere Ansprüche, als Gesetze hergeben. Die Stiftung kann Produkte als „mangelhaft“ bewerten, obwohl sie den rechtlichen Anforderungen entsprechen.

Welche Folgen hat das? Der Handel listet schlecht getestete Produkte häufig schnell aus, so der Eindruck von Tester Brackemann. „Uns erreichen aber auch regelmäßig Anwaltsschreiben und Abmahnungen“, sagt er. Einige wenige landen vor Gericht. „Gerade streiten wir mit einem Matratzen-, einem Rauchmelder- und einem Wolldeckenhersteller.“

Welche Tests schlugen medial die höchsten Wellen? Uschi Glas stieg 2001 ins Kosmetikgeschäft ein. Ihre Creme „Hautnah“ würde Pickel verursachen, lautete das Test-Urteil. Ein Gericht gab den Testern 2006 Recht. Anders lief es 2014: Ritter Sport siegte vor Gericht, nachdem Warentest seine Schokolade wegen eines angeblich chemisch hergestellten Aromastoffs als „mangelhaft“ bewertet hatte. „2006 standen wir öffentlich in der Kritik“, sagt Brackemann. „In vier WM-Stadien hatten wir Mängel festgestellt. Uns ging es um Sicherheit – andere dachten, wir wollten der Nation jetzt den Fußball madig machen.“

Unabhängig wollen die Tester arbeiten. „Im ganzen Land beschäftigen wir neun Einkäufer“, sagt Brackemann. „Unsere Mitarbeiter haben oft ein hartes Los: Sie müssen etwa 30 bis 40 Joghurts einer Marke und Sorte einkaufen und dabei darauf achten, dass sie dasselbe Mindesthaltbarkeitsdatum haben.“ Zudem sollen sie, um „undercover“ zu bleiben, besser bar zahlen. „Stellen Sie sich vor, wir würden im Moment wieder mal Sonnenblumenöl* testen wollen!“, sagt er und lacht.

Einfach Proben bei den Herstellern ordern? Unmöglich, weil Manipulation so nie ausgeschlossen sei. „Waschmittel etwa ließe sich durch einen höheren Enzymgehalt schnell verbessern.“ Aber es soll ja das Produkt, das jedermann im Supermarkt kauft, getestet werden. Und so fahren die Einkäufer diverse Supermärkte in diversen Regionen an und kaufen nur Packungen, die dieselbe Füllmenge, Chargennummer und dasselbe Mindesthaltbarkeitsdatum haben.

Spielzeug auf dem Prüfstand: Testkriterien so streng wie bei Lebensmitteln und Medikamenten

Zurück ins Labor. Beim „Zugtest“ darf Brackemann heute in der „Spielzeug-Folterkammer“ noch kurz assistieren. Das Knopfauge eines Plüsch-Elchs, der für Kinder unter Drei zugelassen ist, darf selbst dann nicht abreißen, wenn eine Kraft von 90 Newton daran zieht. Auch die Nähte halten Stand – der Elch besteht den Test. Ein Spielzeugauto mit Elektroantrieb fällt aber durch. Die Prüfer haben einen Kurzschluss simuliert. Jetzt ist die Karosserie verbogen. „Dass es sich so erhitzt, geht im Kinderzimmer gar nicht“, sagt ein Mitarbeiter, der zuvor schon eine „hochfrequente Störaussendung“ festgestellt hatte. „Die kann schlimmstenfalls auch Opas Herzschrittmacher stören.“

Sicherheit im Kinderzimmer: Die Prüfkriterien für Spielzeug sind so streng wie für Nahrung und Medikamente.
Sicherheit im Kinderzimmer: Die Prüfkriterien für Spielzeug sind so streng wie für Nahrung und Medikamente. © Stiftung Warentest

Auf dem Gelände des Prüfinstituts, das acht Fußballfelder misst, steckt hinter jeder Tür ein Abenteuerspielplatz für Ingenieure, Physiker und Chemiker. Es gibt Hallen, in denen sie Wettergott spielen und Produkte bei der „Klimawechselprüfung“ Regen, Eis und Hitze aussetzen und sogar an der Luftfeuchtigkeit schrauben können.

Dosenspargel, Gyrosstäbe und Spielzeugwaffen: Die Stiftung Warentest hat auch viel Skurriles getestet

Als „Anwalt der Verbraucher“ sollte die Stiftung Warentest agieren, sagte Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker 1964 bei der Gründung der neutralen Prüfinstitution. Nähmaschinen und Handrührgeräte waren die ersten getesteten Produkte. Bis heute werden Haushaltsgeräte noch immer regelmäßig geprüft* – aber die Geschichte der Stiftung Warentest zeigt: Es geht auch weitaus skurriler.

Der Blick zurück auf die bunte Produktpalette offenbart nicht nur die Konsumvorlieben der Deutschen, sondern ist gleichzeitig Spiegel der Gesellschaft. 1969 teste die Stiftung Warentest Hostessen-Schulen. Drei Jahre zuvor hatte die Stiftung Warentest nach der ersten „test“-Ausgabe bereits mit heftiger Kritik zu kämpfen. Das Heft sei „mit Sex aufgezogen“, hieß es damals im Bundestag, weil zwei Damen auf dem Cover mit den getesteten Geräten posierten.

1970 war die sexuelle Revolution dann schon so sehr im Gange, dass auch FFK-Urlaube getestet werden konnten. Der zunehmende Wohlstand der Gesellschaft lässt sich an vielen Testprodukten, die folgten, ablesen: Dosenspargel, Stützstrümpfe und Bettwärmer (1971), Außenbordmotoren (1972), Filmklebepressen (1973), Handstrickapparate und Hosenkorsetts (1974), Schuhputzmaschinen (1975), Telefonkabel-Aufroller und PVC-Badeboote (1977), Spielzeugwaffen und Tierpensionen (1978) sowie aufblasbare Schlitten (1979) wurden getestet.

In den 1980er-Jahren stehen unter anderem die Hygiene in Hallenbädern (1981), elektrische Tischorgeln (1983), Bügelaufsätze für Föhns (1984), Aquarienleuchten und Detekteien (1985), Fußballstadien in Mexiko (1986), Backgammon-Computer (1987), Aufklärungsbücher und Partnervermittlungen (1988) sowie Grabpflege-Angebote (1989) auf dem Prüfstand.

In den 1990er-Jahren wurden Tisch-Gyrosstäbe (1990), Glücksspiele und luststeigernde Sexualtonika (1992) getestet. Atemschutzmasken wollte die Stiftung Warentest 1989 eigentlich einmal und nie wieder testen – bis das Jahr 2020 kam und die Bevölkerung sich mit Ausbruch der Pandemie wieder um deren Qualität sorgte. Als Tester der Nation sahen sie sich wohl einfach mal wieder in der Pflicht.

Lärmempfindlich dürfen vor allem Möbel-Prüfer nicht sein. Es scharrt, poltert und knarrt permanent. Acht Maschinen bearbeiten rund um die Uhr acht Bürostühle – immer unterschiedlich. Eine drückt die Armlehnen rauf und runter, die andere simuliert „nervöses Kippeln“, wieder andere testen extreme Gewichtsverlagerungen.

In zwei Prüfständen fahren hölzerne Druckstempel in variierten Winkeln über die Sitzfläche. „Schließlich setzt sich jeder anders hin“, erklärt ein Mitarbeiter. „Diese beiden Stühle befinden sich seit zweieinhalb Monaten in den Prüfständen. Zwei Wochen haben sie noch vor sich.“ Insgesamt 500.000 Mal hebt und senkt die Maschine den Holzstempel, den die Mitarbeiter „Euroarsch“ nennen. Er entspricht exakt der Norm des Hinterteils eines Europäers.

Fahrräder, E-Bikes, Lastenräder: Was beim Verbraucher hoch im Kurs steht, wird getestet

Nach Besuchen bei Pfannen-, Matratzen-, Geschirrspüler- und Kugelschreiberprüfern steht heute noch ein letztes Labor auf Brackemanns Liste: das der Fahrrad-Prüfer. „Ich besitze kein Auto, vielleicht interessieren mich die Räder deshalb so“, sagt er und inspiziert die Prüfstände. Wie zuvor die Stühle werden hier Räder im Ganzen, aber auch in ihre Einzelteile zerlegt getestet. Sechs Stunden poltert ein E-Bike mitsamt 150-Kilo-Gewichten 480.000 Mal über zwei unebene Stahlrollen. „Fünf Jahre Bergabfahren“, übersetzt ein Mitarbeiter.

Fünf Jahre Bergabfahren simuliert dieser Prüfstand – das Fahrrad poltert stundenlang über die Stahlrollen.
Fünf Jahre Bergabfahren simuliert dieser Prüfstand – das Fahrrad poltert stundenlang über die Stahlrollen. © Stiftung Warentest

Woanders wird Tausende Male gebremst. Über Düsen setzen die Prüfer Sprühnebel auf die Reifen ab – und testen die Bremsen so bei Nässe. „Bis zu 100.000 Euro kosten solche Sonderkonstruktionen“, sagt Brackemann und begutachtet einen Fahrradrahmen, der an der Schweißnaht gebrochen ist. Dinge kaputt machen, damit Deutschland ein bisserl sicherer wird – was Schöneres gibt’s für die Tester der Nation nicht. „Es ist ein Traumberuf“, sagt er und lächelt. (sco)

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