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„Kann von meiner Therapeutin nicht verlangen, dass sie um 22 Uhr Zeit hat, mit mir zu sprechen“

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Von: Moritz Serif

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Die Journalistin Larena Klöckner hat ihre Depressionen öffentlich gemacht.
Die Journalistin Larena Klöckner hat ihre Depressionen öffentlich gemacht. © Gabriel Rinaldi

Psychische Erkrankungen nehmen zu. Vor allem in der Pandemie gab es einen Anstieg. Die Journalistin Larena Klöckner verrät, wie sie mit ihrer Depression lebt.

Berlin – 2021 erreichte der Arbeitsausfall wegen psychischer Erkrankungen einen neuen Höchststand. Insgesamt 276 Fehltage je 100 Versicherte waren es laut einer Erhebung der DAK Gesundheit. Das sind 41 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Wer krank ist, benötigt außerdem viel Zeit, um wieder in den Beruf zurückzufinden. In manchen Berufen ist die psychische Belastung besonders hoch. Jobs im Aufsichtsrat oder Führungspositionen, in der Alten- und Familienpflege oder im Dialogmarketing können für die psychische Gesundheit sehr schädlich sein. Beschäftigten drohen Burnout-Erkrankungen.

Hey Larena. Du bist freie Journalistin und hast kürzlich im journalist ein Interview gegeben und über deine Depressionen gesprochen. Wie haben dein Umfeld und deine Redaktionen darauf reagiert?

Ich hatte viele Bedenken. Beispielsweise, ob mir die Fähigkeit, als Journalistin zu arbeiten, abgesprochen wird. Bei Twitter habe ich negative Reaktionen befürchtet. Sowohl auf mein Interview im journalist als auch auf meinen Text bei Übermedien, in dem ich meine Krankheit öffentlich gemacht habe. Insgesamt habe ich aber durchweg positive Reaktionen bekommen. Kolleg:innen haben mir ihre eigene Geschichte anvertraut. Viele leiden unter Depressionen und haben sich in meinen Worten wiedergefunden. Aber auch Kolleg:innen ohne Krankheitsbild kannten viele der beschriebenen Gefühle und Situationen. Gerade, was den Druck als Journalist:in angeht. Die Reaktionen haben außerdem gezeigt, dass psychische Erkrankungen keine Generationenfrage sind. Denn auch alteingesessene Redakteur:innen haben mir ihre ähnlichen Erfahrungen anvertraut.

Wie hast du die Corona-Zeit erlebt?

Ich kenne die Zahlen und weiß, dass psychische Erkrankungen und Belastungen zugenommen haben. Das zu nennen, empfinde ich im Zusammenhang mit der Pandemie als sehr wichtig. Bei mir war das gerade zu Beginn mit Blick auf die Freizeit etwas anders. Das viele Herausgehen und sich mit Menschen verabreden fällt mir an manchen Tagen schwer und kann Druck auslösen. Häufig muss ich deshalb Treffen absagen. Ich habe das als entlastend wahrgenommen, als die Unternehmungen wegfielen, da es plötzlich gesellschaftlich akzeptiert war, zu Hause zu bleiben. Dennoch war die Arbeit im Homeoffice anstrengend für mich. Denn auch wenn es manchmal eine Überwindung für mich ist, das Haus zu verlassen und in die Redaktion zu gehen, tut es mir grundsätzlich gut. Unter Menschen verfalle ich seltener in negative Gedankenschleifen. Deswegen schreibe ich auch gerne in Cafés.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Druck für dich als freie Journalistin wegen deiner Krankheit besonders hoch ist.

Absolut. Ich arbeite im Moment auch als Werkstudentin beim Tagesspiegel, weshalb ich nicht nur frei unterwegs bin und viel Unterstützung erfahre. Allgemein gilt aber: Der Druck für Freie ist sehr hoch. Entweder man liefert oder nicht. Nur, wenn man schreibt, verdient man Geld. Außerdem ist es für viele Journalist:innen wichtig, die Arbeit auch nach außen zu tragen, damit Redaktionen etwas von einem mitbekommen. Es bleibt nicht nur dabei, Themenideen und Geschichten zu pitchen oder sich zu bewerben. Denn auch Google-Ergebnisse und Social-Media-Profile sind zu einer digitalen Visitenkarte geworden.

Das kann auslösen, dass ich mich mit Journalist:innen vergleiche, die sich auf einem anderen Level befinden. Alleine schon, weil sie älter sind und mehr Erfahrung als ich haben.

Plattformen wie etwa LinkedIn sind mittlerweile sehr präsent. Doch dort sind zwar Berufsstationen, aber eben keine Lebensrealitäten sichtbar, was tückisch sein kann. Wenn ich mich mit Menschen vergleiche, vergesse ich oft meinen eigenen Kontext. Dass ich etwa Klinikaufenthalte hatte und erkrankt bin. Gleichheit gibt es da nicht. Hinzu kommt: Wegen meiner Depression zweifele ich oft an mir. Das Vergleichen befeuert da negative Gedanken, besonders an schlechten Tagen. Dennoch kann es auch ein Ansporn sein. Und eine gute Möglichkeit, um Kontakte zu knüpfen und Sichtbarkeit zu bekommen.

Zur Person: Larena Klöckner

Larena Klöckner ist freie Journalistin und absolviert einen Master in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt auf Gender und Intersektionalität. In einem Text für Übermedien schrieb Klöckner über ihr Leben und Arbeiten als Journalistin mit Depressionen, und darüber, dass sie im Beruf nach wie vor ein Tabu seien. Die Depression werde mit Leistungsunfähigkeit gleichgesetzt. Dem journalist gab sie kürzlich ein Interview und offenbarte, dass sie sich trotz ihrer Depressionen für den Beruf entschied.

Ist Abschalten eine Lösung? Also den Konsum herunterzufahren?

Dieser Gedanke ist naheliegend, bringt jedoch auch Nachteile mit sich. Denn ich möchte informiert und präsent sein, mir eine eigene Meinung bilden und diese auch vertreten. Hinzu kommt, dass mein Handy gleichzeitig auch mein Arbeitsgerät ist. Darüber kommuniziere ich auch mit meiner Familie und mit Freund:innen. Es ist daher schwierig, eine klare Grenze zu ziehen.

Der Journalismus ist eine der Branchen, in denen Menschen verstärkt an Depressionen und psychischen Erkrankungen erkranken können. Wie können Verlage helfen?

Das ist eine wichtige Frage. Führungsetagen und Arbeitgeber:innen sollten sich mit den Lebensrealitäten von betroffenen Personen auseinandersetzen und ihnen zuhören. Hier besteht großer Nachholbedarf. Es gibt zum Beispiel noch immer den Irrglauben, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht leistungsfähig sein können. Das stimmt nicht. Betroffene können ihre Leistungen sehr gut abrufen. Auch wenn es natürlich Tage geben kann, an denen man krank und arbeitsunfähig ist. Es ist einfach wichtig, sich mit den Lebensrealitäten zu befassen. Therapiestunden etwa müssen oft während der Arbeitszeit stattfinden. Dafür müssen Betroffene freibekommen.

Das heißt, wenn du in Therapie gehst, musst du die Stunden in deiner Freizeit besuchen?

Ich kann von meiner Therapeutin nicht verlangen, dass sie Dienstagabend um 22 Uhr Zeit hat, um mit mir zu sprechen. Natürlich gibt es Arbeitgeber:innen und Verlage, die ihre Genehmigung dafür erteilen. Allerdings sind Therapiestunden, die wöchentlich stattfinden, nicht einmalig. Häufig gibt es dann Fragen wie: „Warum muss das jetzt stattfinden? Wir haben doch bald Redaktionsschluss?“ Wichtig ist, dass es eine grundsätzliche Unterstützung gibt. Denn es geht nicht nur darum, ob ich in der Zeit fehlen darf. Sondern auch, in welches Arbeitsklima ich zurückkomme. Es muss verstanden werden, dass etwa die Leistungsfähigkeit genau durch Angebote wie Therapie erhalten bleiben kann. Auch hier ist die Kommunikation sehr wichtig. Im besten Fall sollte niemand vor Konsequenzen Angst haben, wenn er oder sie eine Therapie beginnt und man diese dann mit Vorgesetzten oder Kolleg:innen bespricht. 

Was wäre sonst noch förderlich?

Schulungen. Es ist wichtig, sich wirklich mit dem Thema auseinander zu setzen. Auch Expert:innen mit ins Boot zu holen. Und Gesprächsangebote für die Mitarbeiter:innen zu schaffen. Diese gibt es in einigen Redaktionen schon, was ich sehr wichtig und richtig finde. Doch auch hier ist die Frage: Gelten diese Angebote auch für Freie? Und wie können Redaktionen auch diese mitdenken? Hinzu kommt: Auch Nichtbetroffene sollten unbedingt mit einbezogen werden. Denn es kann überfordernd sein, mit einer erkrankten Person zusammenzuarbeiten. Welche Fragen darf man stellen? Auch hierfür sind Schulungen wichtig. Wichtig ist auch, wie die Kolleg:innen miteinander umgehen. Vieles passiert im Kleinen. Ein sorgsamer Umgang ist wichtig. All das ist aber ein Prozess.

Ist das Angebot besser geworden, seitdem du als Journalistin arbeitest?

Ich glaube schon. Tatsächlich sehe ich viele kleine Fortschritte. Wie etwa die Gesprächsangebote, die ich angesprochen habe. In meiner freien Tätigkeit bekomme ich davon natürlich nicht immer viel mit. Aber ich merke, dass sich im Miteinander viel tut. Mir wird viel Verständnis entgegengebracht, etwa beim Tagesspiegel. Dennoch sind wir meiner Meinung nach immer noch weit entfernt von einer Enttabuisierung. Ziel muss sein, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie für die psychische Gesundheit förderlich sind. Das müssen auch die Führungsetagen sehen. Allein wegen des Fachkräftemangels können es sich doch viele Verlage und Arbeitgeber:innen gar nicht mehr leisten, gute Mitarbeiter:innen zu verlieren. Ich würde auch dem Vorurteil widersprechen, dass junge Menschen nicht mehr gerne arbeiten möchten oder weniger aushalten können. Schon jetzt gelten psychische Erkrankungen zu den Hauptgründen für Krankheitstage. Es ist daher wichtig, vorausschauend zu denken. Damit die Ausfälle in Zukunft nicht noch mehr steigen.

Immer weniger Menschen haben Lust auf den Journalismus. Schichtbetrieb und Wochenenddienste sind in vielen Redaktionen obligatorisch. Viele Journalist:innen wechseln ins Marketing oder in die PR, wo es einen 9-to-5-Job und eine bessere Bezahlung gibt.

Ich glaube, es ist wichtig, sich die Gründe für diese Wechsel anzuschauen. Viele Journalist:innen brennen für ihren Beruf, oft sind aber die Rahmenbedingungen nicht mehr zeitgemäß. Wenn Menschen etwa am Wochenende nicht spontan einspringen können, sollte das nicht so aufgefasst werden, als hätten sie keine intrinsische Motivation. Das passiert aber noch sehr oft. Der Journalismus muss eine Branche werden, in der Journalist:innen nicht aufgrund von Überlastung den Job wechseln. Aber auch eine, die etwa für erkrankte Personen den Einstieg erleichtert. Denn es ist schwer, überhaupt im Journalismus Fuß zufassen, ohne etwa bei unbezahlten Praktika über seine Grenzen gehen zu müssen. Dass ich Journalistin wurde, hing zum Beispiel eng mit meiner Depression zusammen.

Das wäre auch meine letzte Frage. Wieso bist du mit deiner bereits bestehenden Depression überhaupt Journalistin geworden?

Weil ich den Beruf liebe. Durch meine Krankheit zweifele ich viele Dinge im Leben an. Journalismus ist für mich ein sinnstiftender Beruf, der mir Antrieb gibt. Ich glaube, es ist wichtig, dass auch Personen mit psychischen Erkrankungen Journalist:innen werden. Allein wegen ihrer Sicht auf bestimmte Dinge. Und für diversere Redaktionen. Beim Thema der psychischen Gesundheit gibt es auch journalistisch immer noch großen Nachholbedarf. Nur ein Beispiel: Viele Journalist:innen scheinen den Unterschied zwischen Psycholog:innen und Psychiater:innen noch immer nicht zu kennen. Das fällt mir in Artikeln zum Beispiel regelmäßig auf.

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