Dramatische Entwicklung in Belarus: Tichanowskaja spricht von 25.000 Gefangenen - Oppositioneller stirbt
Roman Bondarenko wurde von der Polizei verhaftet. Wenig später verstarb der Oppositionelle an schweren Hirnschäden. Für die Demonstranten in Belarus gibt es nur einen Schuldigen: Alexander Lukaschenko.
- Seit 100 Tagen protestieren Tausende Belarussen gegen eine weitere Amtszeit des autoritären Staatschefs Alexander Lukaschenko. Sie werfen ihm vor, die Wahlen am 9. August gefälscht zu haben.
- Am Sonntag forderten in den Städten Tausende Demonstranten die Aufklärung des Todes des Oppositionellen Roman Bondarenko.
- Auf den Straßen in Belarus herrschte absolutes Chaos - wie Videoaufnahmen auf Twitter beweisen.
Update vom 16. November, 22.56 Uhr: Unabhängig von der Europäischen Union wollen die baltischen Staaten jetzt Sanktionen gegen das autoritäre Regime im Belarus verhängen. „Gemeinsam mit Litauen und Estland werden wir die ‚schwarzen Listen‘ bald um diejenigen erweitern, die weiter friedliche Proteste in Belarus gewaltsam unterdrücken“, schrieb Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics am Montag auf Twitter.
Damit reagieren die drei EU-Staaten als erste auf den Tod eines 31-jährigen Oppositionellen. Roman Bondarenko war am Mittwoch verhaftet worden - wenig später starb er an schweren Hirnverletzungen in einem Minsker Krankenhaus. Die Demonstranten in Belarus vermuten, dass das Lukaschenko-Regime hinter dem Angriff auf Bondarenko steckt, auch wenn die genauen Umstände bisher noch unklar sind.
Rinkevics erklärte jetzt zudem, dass Lettland den Chef des belarussischen Eishockeyverbandes, Dmitri Baskow, sowie einen weiteren Sportler zur „persona non grata“ erklärt habe. Gegen beide wurde ein Einreiseverbot auf unbestimmte Zeit verhängt, twitterte er. Die Entscheidung erfolgte wenige Tage vor einer Sitzung des Exekutivkomitees des Eishockey-Weltverbandes zur Weltmeisterschaft 2021. Jetzt soll auch entschieden werden, ob das Turnier wie geplant im Mai in Lettland und Belarus stattfinden kann. Riga hatte sich angesichts der angespannten, politischen Lage von seinem Nachbarstaat Belarus distanziert - und will die Eishockey-WM jetzt auch nicht mehr gemeinsam austragen.
Ursprüngliche Nachricht vom 16. November, 22.29 Uhr:
Minsk - Wieder sind in Belarus Tausende Menschen auf die Straße gegangen*. Auslöser der erneuten Proteste ist die Wut über den Tod des Oppositionellen Roman Bondarenko. Dieser war am Mittwoch verhaftet worden und - unter derzeit noch ungeklärten Umständen - zu Tode gekommen sein. Für viele Demonstranten liegt der Grund für seinen Tod klar auf der Hand: Sie machen den umstrittenen Staatschef Alexander Lukaschenko und seine Regime dafür verantwortlich und werfen ihnen vor, Bondarenko misshandelt zu haben.

Belarus: Proteste gegen Lukaschenko-Regime halten an
Auch dieses Mal ging die Polizei wieder brutal gegen Demonstranten vor. Lokalen Medienberichten zufolge, setzten die Polizisten Blendgranaten, Tränengas und Wasserwerfer gegen sie ein - auch Gummigeschosse sollen abgefeuert worden sein. Videoaufnahmen auf Twitter zeigen außerdem, wie schwarz vermummte Männer eine Gruppe von Demonstranten durch die Straßen von Minsk jagten. Zuvor hatten die Behörden rund 15 U-Bahn-Stationen schließen lassen und das Mobilfunknetz lahmgelegt.
Bereits am Freitag hatten Tausende Regierungskritiker spontan in der belarusischen Hauptstadt demonstriert, nachdem Bondarenkos Tod bekannt geworden war und Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja zum stillen Gedenken an ihn aufgerufen hatte. Der Mann sei schließlich nur getötet worden, „weil er in einem freien Land leben wollte“, sagte die im litauischen Exil lebende Tichanowskaja. Die Proteste verliefen friedlich, bildeten die Menschen doch bloß Menschenketten und legten Blumen zum Gedenken an den 31-jährigen Verstorbenen nieder.
Demonstranten in Minsk gedenken Regime-Opfer - über 700 Festnahmen
Nach offiziellen Angaben der Regierung, verstarb Bondarenko nach seiner Festnahme an schweren Hirnschäden im Krankenhaus. Doch daran glaub die Protestbewegung nicht. Seit der, von massiven Betrugsvorwürfen überschatteten, Präsidentschaftswahl am 9. August gibt es in Belarus immer wieder Massenproteste gegen das Lukaschenko-Regime. Seit ihrem Beginn gab es bereits mehrere Todesfälle und Tausende Inhaftierte. Aktuell berichtet die Menschenrechtsgruppe Wesna von mehr als 700 Festnahmen - und das alleine am Sonntag. Darunter befinden sich nach Angaben der Hilfsorganisation Reporter ohne Grenzen offenbar auch erneut 23 Journalisten. Insgesamt sollen so seit August in Belarus 336 Medienschaffende verhaftet worden sein.
Eigenen Angaben nach traf sich Tichanowskaja bereits mit mehreren Botschaftern westlicher Länder, um wegen der „erwiesenen Eskalation der Gewalt“ über weitere Sanktionen gegen den autoritären Staatschef Belarus‘ zu sprechen. Im Messenger Telegram schrieb sie am Montag, dass sie in dieser Woche neue Sanktionen erwarte.
Bereits im September verhängte die Europäische Union Sanktionen gegen das Minsker Regime - als Grund nannte man den menschenunwürdigen Umgang der belarussischen Behörden mit den friedlichen Demonstranten. Ferner erkannte die EU den umstrittenen Wahlsieg Lukaschenkos offiziell nicht an. (cos) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.