Erstmeldung vom 23. Juni: Brüssel - Heute ist der Tag der Entscheidung für die Ukraine. Bei einem EU-Gipfel wird darüber entschieden, ob das von Russland angegriffene Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhält. Eine Empfehlung hatte am vergangenen Freitag (17. Juni) bereits die Kommission ausgesprochen.
Das Votum muss unter allen 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einstimmig ausfallen. Und dies scheint sich auch abzuzeichnen. „Der Europäische Rat hat beschlossen, der Ukraine und der Republik Moldau den Status eines Kandidatenlandes zu verleihen“, heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt. Zuvor hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz dafür stark gemacht, der Ukraine den Status einen EU-Beitrittskandidaten zu verleihen - unter Bedingungen.
Doch selbst wenn der Ukraine nun der Status als EU-Kandidat zugesprochen würde, heißt das noch nicht, dass das Land schnell vollwertiges Mitglied wird - so wie es Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert. Als drastisches Beispiel gilt die Türkei, deren Beitrittsprozess bereits 23 Jahre dauert. Nordmazedonien wartet seit 17 Jahren.
Das liegt schlichtweg an den hohen Anforderungen und Standards, das jedes Beitrittsland erfüllen muss. Stichwort Kopenhagener Kriterien. Diesen muss jeder Staat genügen, der der Europäischen Union beitreten will. Sie bestehen aus drei Säulen: Im „politischen Kriterium“ geht es Wahrung der Menschenrechte, Institutionelle Stabilität sowie demokratische und rechtsstaatliche Ordnung.
Im „wirtschaftlichen Kriterium“ geht es um eine funktionsfähige Marktwirtschaft und der Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarktes standzuhalten. Beim „Acquis-Kriterium“ geht es um „die Fähigkeit, sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu eigen zu machen“, heißt es auf der Seite der Bundesregierung. Konkret bedeutet es: Übernahme des gemeinschaftlichen Rechtssystems, des „gemeinschaftlichen Besitzstandes“.
Bis ein EU-Anwärterstaat nachweist, dass er alle Kriterien erfüllt, dauert es in der Regel Jahre. Russlands Nachbarland müsste etwa das politische System grundlegend reformieren. Ebenfalls ein Problem in der Ukraine sind Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit.
Wegen der Dauer des Verfahrens plädiert etwa der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei RTL/ntv für „ein Zwischenmodell, beispielsweise in Form einer sogenannten assoziierten Mitgliedschaft“. „Das heißt: Das Land hätte noch kein Stimmrecht, das Land hätte auch andere Möglichkeiten noch nicht, würde aber schon in Teilen womöglich dazugehören“, sagte Gunther Krichbaum.
Doch vor allem der andauernde Ukraine-Konflikt dürfte einer Sonderbehandlung entgegenstehen. Solange der Krieg tobt, dürfte es schwer sein, den Zustand der Ukraine hinsichtlich der Kopenhagener Kriterien zu bewerten.
Doch all dies ist Zukunftsmusik. Zunächst gilt es, auf dem Gipfel Einstimmigkeit zu erzielen. Österreich, Portugal und Dänemark hatten im Vorfeld Bedenken hinsichtlich eines EU-Beitritts der Ukraine geäußert. (mt)