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Heizung, Strom, Wasser: Wie Russland die kritische Infrastruktur der Ukraine attackiert

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Von: Patrick Mayer

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Bürgermeister von Kiew: Vitali Klitschko (re.), hier mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in der ukrainischen Hauptstadt.
Bürgermeister von Kiew: Vitali Klitschko (re.), hier mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in der ukrainischen Hauptstadt. © IMAGO / photothek

Die Attacken der russischen Armee auf die kritische Infrastruktur gehen im Ukraine-Krieg weiter. Nicht nur Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sorgt sich.

München/Kiew - Die Angriffe auf die kritische Infrastruktur gehen im Ukraine-Krieg weiter. Kiew wirft Russland „Energieterror“ vor, während Raketen sowie iranische Kamikazedrohnen vom Typ Shahed vor allem in Umspannwerken einschlagen.

Wegen Bombardements durch russische Armee: Steht Ukraine vor dem „schwierigsten Winter“?

Vizepremierministerin Iryna Wereschtschuk forderte geflohene Landsleute deshalb auf, erst einmal nicht in die Heimat zurückzukehren und „nach Möglichkeit im Ausland zu überwintern“. Der Ukraine stehe „der schwierigste Winter seit der Unabhängigkeit bevor“, erklärte zudem Energieminister Herman Haluschtschenko.

„Die Energie-Infrastruktur der Ukraine war vom ersten Tag des Krieges an im Fadenkreuz des Feindes“, sagte er zuletzt. Markant: Bis Kriegsbeginn am 24. Februar bildete das ukrainische Stromnetz einen Verbund mit den Netzen von Belarus und Russland, weswegen die Angreifer über Standorte etwa von Transformatoren im Hochspannungsnetz offenbar bestens informiert sind. Nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj haben die russischen Bombardements mittlerweile rund 40 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur beschädigt.

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Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, warnte die rund 2,8 Millionen Einwohner der Hauptstadt jetzt, dass sie sich in diesem Winter auf das Schlimmste vorbereiten müssten. Heißt: Dass zum Beispiel nachts der Strom ausfällt und Wohnungen dunkel bleiben, oder dass – trotz kalter Temperaturen – vielleicht nicht geheizt werden kann.

Ukraine-Krieg: Kiew-Bürgermeister Vitali Klitschko mahnt mit Blick auf Energieversorgung

„Wir tun alles, um das zu vermeiden. Aber seien wir ehrlich, unsere Feinde tun alles dafür, dass die Stadt ohne Heizung, ohne Strom, ohne Wasserversorgung im Allgemeinen ist, damit wir alle sterben. Die Zukunft des Landes und die Zukunft eines jeden von uns hängt davon ab, wie wir auf unterschiedliche Situationen vorbereitet sind“, erklärte der frühere Boxer Klitschko am Sonntag (6. November) staatlichen Medien. Einzig am 11. Oktober wurden in Kiew alle drei großen Heizkraftwerke mehrmals angegriffen.

Am Wochenende gab es in der Millionenmetropole und Umgebung geplante, stündlich wechselnde Stromausfälle, um das Netz in dieser prekären Lage zu entlasten. Auch in den nahe gelegenen Regionen Tschernihiw, Tscherkassy, ​​Schytomyr, Sumy, Charkiw und Poltawa seien Stromausfälle geplant, erklärte der staatliche ukrainische Energieversorger Ukrenergo.

Russland, das mittlerweile angeblich selbst Kriminelle für seine Armee rekrutiert, übt indes weiter Druck aus: So erklärte der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew laut ZDF, dass sich die Situation der Energieversorgung verbessern werde, wenn die Ukraine die Annexion der vier Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson anerkenne.

Kamikaze-Drohne aus dem Iran? Dieses Foto soll eine „Shahed 136“ kurz vor dem Einschlag in Kiew zeigen.
Kamikaze-Drohne aus dem Iran? Dieses Foto soll eine „Shahed 136“ kurz vor dem Einschlag in Kiew zeigen. © Yasuyoshi Chiba/AFP

Ukraine-Krieg: Kiew richtet Heizpunkte für Winter ein

Die Regierung in Kiew lehnt das jedoch entschieden ab, stattdessen stellen sich die Kommunen auf die Bedrohung ein. So plant die Hauptstadt laut Klitschko etwa 1000 Heizpunkte, was für fast drei Millionen Einwohner aber möglicherweise nicht ausreiche, hieß es. „Das Schlimmste wäre, wenn es überhaupt keinen Strom, kein Wasser und keine Fernwärme gäbe“, schrieb Klitschko schon zuvor auf dem Kurznachrichtendienst Telegram: „Für diesen Fall bereiten wir über 1000 Heizstellen in unserer Stadt vor.“

Genauer: Um von der übrigen Infrastruktur unabhängig zu sein, werden die Standorte mit Generatoren ausgestattet. Lebensnotwendige Vorräte wie Wasser sollen dort wortwörtlich gebunkert werden.

Angriffe auf die kritische Infrastruktur gibt es derweil nicht nur in Kiew. Ein Beispiel: Ende Oktober hatte eine russische Lenkwaffe vom Typ Kalibr ein Umspannwerk in Mykolajiw getroffen, in der Großstadt mit ihren vormals fast 500.000 Einwohnern gingen die Lichter aus.

Ukraine-Krieg: Russische Angriffe auf Hochspannung-Transformatoren und Umspannwerke

„Diese Angriffe wurden eindeutig nicht von Militärs geplant, sondern von russischen Energie-Experten“, sagte Oleksandr Chartschen­ko, Energieberater in Kiew, Ende Oktober dem Nachrichtenmagazin Spiegel: „Die kennen das ukrainische Netz und wissen, wie man es in einzelne Teile zerlegt.“ Russland habe versucht, auf die Hälfte der rund 150 Hochspannungs-Transformatoren Attacken zu verüben, erzählte Chartschen­ko damals. Zu Spitzenzeiten habe das Land mit seinen rund 44 Millionen Einwohnern einen Strombedarf von 12 Gigawatt, und damit deutlich weniger als vor Kriegsbeginn, erklärte er. Es hapere aber mit der Übertragung, weswegen etwa in Kiew ganze Straßenzüge für Stunden vom Stromnetz genommen werden müssten.

Die ukrainische Flugabwehr fürchtet indes ballistische Raketen aus iranischer Produktion. Der Sprecher der Luftwaffe, Jurij Ihnat, erklärte bereits am 1. November, dass die Ukraine über keine Verteidigungsmittel gegen iranische Mittelstreckenraketen verfüge.

Der Politologe András Rácz, Experte für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik (DGAP), erwartet deshalb schon bald eine neue Migrationswelle in Gebiete, „in denen der Winter überlebt werden kann“, wie er es in einem Gastbeitrag für das ZDF nannte. Rácz: „Die Bevölkerung wird sicherlich leiden, aber höchstwahrscheinlich wird sie diese Härteprüfung bestehen.“ (pm)

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