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Plastik statt Paradies: Wie uns die Youtube-Serie „7 vs. Wild” unfreiwillig den Spiegel vorhält

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Von: Philipp David Pries, Marie Ries

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Die globale Plastikproduktion steigt seit 1950 rapide an. In der Serie „7 vs. Wild“ bekommen Fritz Meinecke und seine Mitstreiter die Folgen davon zu sehen.
Die globale Plastikproduktion steigt seit 1950 rapide an. In der Serie „7 vs. Wild“ bekommen Fritz Meinecke und seine Mitstreiter die Folgen davon zu sehen. © afp/PantherMedia/fritz.meinecke/Instagram (Montage)

Die deutsche Survival-Serie „7 vs. Wild” will auf Youtube idyllische Strände und das Palmenparadies Panamas zeigen. Doch stattdessen sieht das Millionenpublikum derzeit gigantische Mengen an Plastikmüll.

Mit nacktem Oberkörper stiefelt Kandidat Ottogerd Karasch über den palmenbewachsenen Strand. „Es ist ein Paradies, und wir Menschen haben es versaut”, spricht er beschämt in die Kamera. Und die Zuschauer blicken auf unzählige Plastikflaschen, Flip-Flops und Campingstühle. Die Survival-Serie „7 vs. Wild” auf Youtube schickt derzeit Freiwillige allein für sieben Tage in die pazifische Wildnis der Isla de San José – und damit in sehr viel Müll. Und doch sind die großen Mengen mehr als ein Schönheitsfehler: Hier in Panama wird gerade ein Problem sichtbar, das auch in Deutschland die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährdet.

„7 vs. Wild“ in Panama: Kandidaten sind schockiert vom vielen Müll

Das viele Plastik auf der Isla de San José fällt auch den Survival-Kandidaten sofort negativ auf, wie eine Analyse aller Youtube-Folgen zeigt. Allein in der ersten fällt das Wort „Müll” bereits sieben Mal. Und das ist bereits genau so viel wie in sämtlichen 16 Folgen der ersten Staffel in Schweden (siehe Hintergrundkasten am Ende). Dies ist kein Zufall: Die 7-vs.-Wild-Insel gehört zu Panama, einem Land mit einem sehr großen Plastikproblem. Mit langen Küstenlinien zum karibischen Atlantik und zum Pazifik wird es zum Auffangbecken für Müll, der in den Ozeanen landet. Besonders die Karibik ist betroffen. An den Stränden dort liegt vier Mal so viel Plastikmüll wie im weltweiten Durchschnitt. Der Schauplatz von „7 vs. Wild” gehört zur Pazifikküste – und damit sogar noch zur weniger verschmutzten Seite.

Doch wie gelangt das Plastik eigentlich in die Ozeane? Über 80 Prozent des Kunststoffabfalls landet erst in Flüssen und wird später ins Meer gespült, wie eine niederländische Studie zeigt. Gerade kleinere Flüsse in städtischen Gebieten bringen viel Müll mit sich. Von den Mündungen aus driften löchrige Plastikflaschen, abgetragene Flip-Flops und ungeliebtes Spielzeug dann hinaus in die Weltmeere. Kreiselförmige Strömungen tragen Millionen Tonnen Müll zu großen Müllteppichen zusammen. Der größte wird Great Pacific Garbage Patch genannt und liegt im Pazifik zwischen Hawaii und Kalifornien. Er wird auf die viereinhalbfache Fläche Deutschlands geschätzt.

Kunststoff sammelt sich in großen Müllstrudeln in den Ozeanen

Als gigantische Müllinsel kann man sich den Great Pacific Garbage Patch jedoch nicht vorstellen. Denn sichtbar ist nur ein geringer Teil des Meeresplastiks: Weniger als ein Prozent des Kunststoffmülls schwimmt auf der Wasseroberfläche. Dazu kommt, dass ein großer Teil des Treibguts aus sehr kleinen Plastikteilen besteht und somit zum Beispiel auf Satellitenbildern schlechter zu erkennen ist. Insgesamt fünf dieser Müllteppiche gibt es in den Weltmeeren, Wissenschaftler warnen vor der Entstehung eines sechsten.

Mikroplastik könnte zu Krebs-Erkrankungen und zu verringerter Fruchtbarkeit führen

Was sich in Panama zeigt, ist zugleich eine mögliche Gefahr für unsere Gesundheit auch in Deutschland. Plastikteile in Meer und Flüssen werden etwa durch Sonnenlicht und fortschreitende Zerkleinerung zu winzigen Mikroplastik-Teilchen – und dieses gelangt am Ende etwa über den Regen, das Trinkwasser und Meerestiere wieder in unseren Körper. Chemische Verbindungen von Plastik sind bereits jetzt überall auf der Erde im menschlichen Blut und Stuhl nachweisbar. Mediziner befürchten unter anderem eine verringerte Fruchtbarkeit bei Männern und mehr Krebsfälle.

Vor der Skyline von Panama-Stadt stapeln sich angeschwemmte Plastikflaschen und Essensverpackungen.
Vor der Skyline von Panama-Stadt stapeln sich angeschwemmte Plastikflaschen und Essensverpackungen. © Luis Acosta/afp

Wie es das Medizinjournal „The Lancet” in nüchterner Klarheit formuliert: „Bisher wurde Müll in den Meeren als entferntes Problem betrachtet. Nun wird es zu einer akuten Gefahr für den Menschen und kommende Generationen.“ Das deutsche Bundesamt für Risikoforschung (BFR) ist entgegen noch zurückhaltender. Es geht derzeit davon aus, dass die Mengen an aufgenommenen Plastik vermutlich zu gering sind, um für den menschlichen Körper schädlich zu sein. Für die meisten Experten jedoch ist die aktuelle Datenlage für endgültige Aussagen noch zu schlecht.

Deutschland ist größter Exporteur von Plastikmüll in der EU

Der Müll in den Meeren ist so oder so ein großes Problem, und dieses macht auch vor der Heimat der „7. vs. Wild“-Teilnehmer in Europa nicht Halt. So finden sich nach Angaben des Umweltbundesamts auch an deutschen Stränden mittlerweile etwa 400 Müllteile pro hundert Meter. Die meisten dieser Plastikteile stammen aus Schifffahrt, Tourismus und Fischerei, da bei uns vergleichsweise wenig Müll in Flüssen landet. Die Bundesrepublik ist jedoch auch größter Exporteur von Kunststoffabfällen in der EU und schickte 2021 unter anderem mehr als 50.000 Tonnen Plastikmüll nach Malaysia.

Natürliche Zersetzung des Plastiks dauert Jahrhunderte

Was tun nun gegen den Müll, gegen diese gigantische Menge an Plastik? Abwarten jedenfalls ist keine Option. Wenn jemand im Mittelalter eine Flasche ins Meer geworfen hätte, wäre diese erst heute vollständig abgebaut worden: 450 Jahre später. Deswegen gibt es inzwischen viele Initiativen, Müll aus dem Meer zu fischen. Schon allein, weil der Müll auch für Tiere und den Tourismus ein großes Problem darstellt.

Am bekanntesten ist hier die niederländische Organisation Ocean Cleanup. Ihre Schiffe ziehen eine große Müll-Sammel-Barriere hinter sich her. Ähnliche Ansätze gibt es auch für Flüsse. Doch daran entzündet sich ebenso Kritik wie an Strandsammel-Aktionen, deren dauerhafte Wirkung infrage gestellt wird. Andere Initiativen versuchen außerdem, das Mikroplastik im Wasser zu binden und zu neutralisieren. Über Pilotprojekte ging dies alles jedoch noch nicht hinaus.

Plastikbekämpfung: Umdenken von Industrie und Konsumenten erforderlich

Am Ende muss die Menschheit gerade auslöffeln, was sie sich andernorts eingebrockt hat. Wenn Müll gar nicht entstünde, wäre es schon volkswirtschaftlich um ein Vielfaches günstiger. Wie diese Vermeidung im Kleinen funktionierten könnte, hat unlängst die bayerische Marktgemeinde Mering vorgemacht. Viele Bewohner nutzten jede Gelegenheit, die Mülleimer leer zu halten. Am Ende stand beim weggeworfenen Haushaltsmüll ein Minus von 67 Prozent. Klar ist aber jenseits dieser Projekte für alle Experten: Ohne einen Umbau der Industrie, ein anderer Umgang mit Müll und ein anderes Konsumverhalten wird das Plastik in den Meeren Realität bleiben.

Für die Kandidaten bei „7 vs. Wild” bedeutet der Müll an den Stränden derzeit vor allem ein unschönes Erlebnis. Immerhin waren die Organisatoren der gerade zu Ende gehenden Youtube-Serie ehrlich zu den Zuschauern und Zuschauerinnen. Sie hätten vor Drehbeginn sämtlichen Müll von den Stränden der Isla de San José entfernen können. Doch sie beließen das Plastik im Paradies und zeigen damit die wenig idyllische Seite auf: All der Müll in den Meeren ist eine Aufgabe auf Jahrzehnte und Jahrhunderte. Und eine, für die die Menschheit bisher noch keinen Plan hat.

Unsere Methoden, Quellen und Daten

Die Häufigkeit der Erwähnung des Wortes „Müll” bei „7 vs. Wild“ haben wir auf Basis der automatisierten Transkripte sämtlicher Folgen ausgewertet. Dabei haben wir sämtliche Fälle berücksichtigt, die sich auf tatsächlichen Müll in der Natur bezogen. Durch den Filmschnitt kann es naturgemäß zu Verzerrungen kommen, weil es nicht der tatsächlichen Anzahl der Erwähnungen aller Tage entsprechen kann. Die Daten zur Plastikverschmutzung in Flüssen stammen von der Clean Currents Coalition und von einer wissenschaftlichen Studie finanziert von der Organisation Ocean Cleanup. Zudem stützen wir unsere Analyse auf Erkenntnisse der US-amerikanischen Ozeanographiebehörde NOAA, auf den Plastikatlas der Heinrich-Böll-Stiftung und auf eine Studie von Wissenschaftlern der technischen Universität von Panama-Stadt. Die Zahlen zu den Müllexporten Deutschlands sind auf der Website des Statistischen Bundesamts zu finden. Einzelne Fakten und Analysen beruhen auf einem Austausch mit dem Bundesamt für Risikobewertung (BFR).

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