„Für eine Demokratie unwürdig“: Riesen-Streit um Bundeswehr-Pläne im Süden Deutschlands entbrannt

Die Bundeswehr plant ein Gelände für KSK-Fallschirmspringer in Baden-Württemberg. Trotz des Russland-Ukraine-Kriegs ist der Protest vor Ort gewaltig. Es zeigt die Hürden bei der Neuaufstellung der Armee.
München/Stuttgart/Balingen - Es bedeutete nach Jahrzehnten eine völlige Neuausrichtung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Am 27. Februar kündigte Ampel-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)* ein „Sondervermögen Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro an. Drei Tage nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Mittlerweile gibt es im Deutschen Bundestag nach anfänglich fraktionsübergreifender Zustimmung aber Diskussionsbedarf. Die CDU/CSU-Fraktion will unter CDU-Chef Friedrich Merz vorerst die Finanzierung blockieren, weil die Union* eine klare Beteiligung der Opposition fordert sowie, dass das Zwei-Prozent-Ziel nicht nur vorübergehend, sondern für immer festgeschrieben wird.
Geplantes KSK-Gelände der Bundeswehr und Nato - in Baden-Württemberg regt sich großer Protest
Wie schwierig die geplante Neuaufstellung und Aufrüstung der Bundeswehr als Reaktion auf den Russland-Ukraine-Krieg* ist, belegen aber auch Beispiele von vor Ort und an der Basis. Etwa im Süden Baden-Württembergs regt sich erheblicher Widerstand gegen Pläne der deutschen Bundeswehr und des transatlantischen Verteidigungsbündnisses Nato.
Konkret: Bundeswehr und US-Streitkräfte planen auf der Staatsdomäne „Waldhof“ zwischen den schwäbischen Kleinstädten Balingen, Schömberg und Oberndorf am Neckar* ein Absatzgelände für Fallschirmspringer. Unter anderem sollen dort Soldaten des Kommando Spezialkräfte KSK künftig militärische Übungen abhalten. Zur Einordnung: Eine Staatsdomäne ist ein im Eigentum des Staates stehender größerer Gutshof. Doch die Ablehnung unter den Bürgern ist offenbar groß. Unter anderem kommen bei solchen Übungen schwere Transall-Transportmaschinen der Luftwaffe zum Einsatz - samt erwartbarem Fluglärm.
Das Vorhaben ist völliger Unsinn.
Während Russland-Ukraine-Krieg: Bundeswehr plant neues KSK-Gelände in Baden-Württemberg
Damit nicht genug: In Geislingen bei Balingen hat sich eine „Bürgerinitiative Waldhof“ gegründet, mit dem Ziel, den geplanten Militärflugplatz gänzlich zu verhindern. „Das Vorhaben ist völliger Unsinn“, wird Siegfried Rall aus dem benachbarten Dotternhausen von der Südwest Presse (SWP) zitiert. Er ist der 2. Vorsitzende des Vereins für Natur- und Umweltschutz Zollernalb (NUZ). Die im Fokus der Bundeswehr stehende Fläche beim Waldhof sei „eines der besten Getreidefelder in der Gegend“, erklärt Rall demnach. Ferner bezeichnete er die Entscheidungsfindung als „für eine Demokratie unwürdig“.
Dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Die Grünen) warf er „Unaufrichtigkeit“ vor und empfahl allen Gegnern des geplanten KSK-Geländes, Stellungnahmen bei Regierungspräsident Klaus Tappeser und Landrat Günther-Martin Pauli (beide CDU) einzufordern, damit „sie sich nicht verstecken können“. Die Bürgerinitiative findet auch aus benachbarten Gemeinden regen Zulauf, zum Beispiel aus Haigerloch. Es ist ein Thema, das eine ganze Region polarisiert. Für einen Bürgerinformationsabend (22. März) waren aus Corona-Gründen nur 600 Personen zugelassen, laut Schwarzwälder Bote gab es reichlich Kritik daran, dass die Info-Veranstaltung nicht live im Internet gestreamt werden sollte.
Im Video: Bundeswehr-Eurofighter im Luftkampf - Angriff mit Raketen
Schon auf der Kreistagssitzung tags zuvor in der Geislinger Schloßparkhalle gab es laut Zollern-Alb-Kurier (ZAK) kein anderes Thema - dabei sei der Militärflugplatz „Waldhof“ noch nicht einmal auf der Tagesordnung gestanden. Das Land Baden-Württemberg versucht indes, Brisanz aus den Diskussionen zu nehmen und hat dafür online eine sogenannte Themenlandkarte freigeschaltet. Auf dieser können Bürger mit der Politik Fragen diskutieren zu „Auswirkungen auf den Wert der Grundstücke“, zum „Naturschutz“ oder zur „Landwirtschaft“.
Das Bundesland und die Landesregierung hatten sich - noch vor dem Krieg in Europa - eigenen Angaben zufolge verpflichtet, dabei zu helfen, ein Ersatzgelände für die Bundeswehr und die Nato-Verbündeten zu suchen, weil auf dem bisher genutzten Gelände in Renningen-Malmsheim westlich von Stuttgart das Forschungs- und Entwicklungszentrum der Robert Bosch GmbH erweitert werden soll. Am geplanten Ersatzgelände ist die Zustimmung der Bürger aber offensichtlich überschaubar - trotz der neuen Sicherheitsbedenken wegen des Russland-Ukraine-Konflikts*. (pm) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA