Alte Leitungen, neue Pläne: Polen will Atomstrom aus der Ukraine - Vorteile auch im Krieg?

Polen sucht nach Auswegen aus der Energie-Misere. Eine Idee: Atomstrom aus der Ukraine. Davon könne der Nachbar im Krieg auch selbst profitieren, heißt es.
Warschau - Der Ukraine-Konflikt* und die Energieversorgung - zwei Themen, die Europa derzeit in Atem halten. Manchmal tauchen sie auch in eher unerwarteter Verknüpfung auf: Polen etwa will künftig auf Atomstrom aus der Ukraine setzen.
Mittlerweile haben schon drei große polnische Unternehmen - ZE PAK, Orlen und Synthos - erklärt, dass sie an erheblichen Stromimporten aus der Ukraine interessiert sind. Ein Hintergrund: Die Ukraine kann auch wegen des hohen Atomstromanteils große Mengen an günstigen Strom-Importen anbieten.
Ukraine: Atomstrom aus Selenskyjs Land - Ideal für die Umsetzung der polnischen Klimaziele?
Für die Umsetzung dieser Stromimporte braucht es aber zusätzliche Investitionen. Das Gemeinschaftsunternehmen von Orlen und Synthos, „Orlen Synthos Green Energy“, hat sich bereit erklärt, entsprechende Gelder bereitzustellen.
„Strom, der nach Polen geliefert werden könnte, würde aus dem Atomkraftwerk Khmelnytsky in der Ukraine kommen. Der Import auf der Grundlage der modernisierten Infrastruktur würde dazu beitragen, den Bedarf der polnischen Industrie zu decken und die Abhängigkeit Polens von den Energiequellen auf Kohlenwasserstoffbasis zu verringern”, heißt es dazu von Orlen.
Vom Unternehmen ZE PAK, das noch erhebliche Kohleaktiva in Polen besitzt, kam auch der konkrete Vorschlag, die 750-kV- Stromleitung zwischen der Ukraine und Polen zu modernisieren. ZE PAK erklärte, dass eine moderne und leistungsfähige Leitung gerade jetzt im Krieg der Ukraine viel bringen könnte. Kriegsbedingte Stromausfälle könnten von polnischer Seite ausgeglichen werden. Nach dem Krieg könnten diese Leitungen dann dem Import von Strom aus der Ukraine nach Polen dienen. Der polnische Netzbetreiber PSE (Polskie Sieci Elektroenergetyczne) ist jedoch der Meinung, dass der Import in größeren Mengen erst ab 2026 realisiert werden könnte.
Ukraine-Strom: Lösung für Klimaziele und galoppierende Preise in Polen?
Die Stromimporte aus der Ukraine könnten sowohl unternehmerischen Klimazielen als auch der gesamtpolnischen Klimastrategie zum Erfolg verhelfen. Polen ist bei der Stromerzeugung erheblich von der Kohle abhängig. Im Jahr 2021 lag die Quote wieder bei rund 80 Prozent. Das Land wird noch Jahrzehnte brauchen, um sich von dem klimaschädlichen Energielieferanten zu verabschieden - Der endgültige Ausstieg aus der Kohle ist in Polen für das Jahr 2049 geplant.
Stromimporte könnten aber auch die Stromkosten für polnische Verbraucher senken. Der Kohlestrom ist in den letzten Jahren immer teuer geworden, unter anderem wegen steigender Preise für CO2-Zertifikate. Der emissionsfreie Atomstrom aus der Ukraine wäre diesbezüglich gänzlich unbelastet.
Die polnische Energiewirtschaft könnte sich dadurch mehr Zeit beschaffen, um den Erneuerbaren-Sektor auszubauen. Die großen Offshore-Windanlagen in der polnischen Ostsee sollen frühestens ab 2026 ans Netz gehen. Der Bau der polnischen Atomkraftwerke dürfte erst in den 2030ern abgeschlossen sein. Bis dahin könnten die Importe aus der Ukraine die Situation entspannen und die polnischen CO2-Emmissionen reduzieren.
Kriegs-Folgen: Ukraine und Moldawien sind inzwischen Teil des europäischen Netzes
Die Idee Strom aus der Ukraine zu beziehen, ist in Polen nichts Neues. Allerdings waren die technischen und rechtlichen Möglichkeiten dafür relativ beschränkt. Es gab lediglich eine kleine Region in der Westukraine, die Verbindung zum polnischen Stromnetz hatte. Das dortige Kohlekraftwerk lieferte bis zu 190-210 MWh Strom jährlich nach Polen.
Am 16. März hat sich die Situation geändert. Seitdem sind die Ukraine und Moldawien an das europäische Stromnetz ENTSO-E angebunden. Vorher gehörten sie zum BRELL-System, das noch aus der Sowjetzeit stammt und die ehemaligen russischen Republiken miteinander verband.
Atomstrom aus der Ukraine? Verbindung wird gesucht - europäische Hilfe rückt näher
Die Ukraine verfügt über zwei Linien, die sie mit Polen verbinden. Es handelt sich einmal um die 750-kV- Leitung Rzeszów-Churlnicki, noch aus den 1980ern stammte. Diese Leitung ist nicht aktiv und müsste modernisiert werden. Über die zweite Linie, Dobromin-Zamuna mit gerade mal 220 kV, wird bereits Strom aus der Ukraine nach Polen importiert. Das Potenzial ist hier rein technisch nicht ausreichend.
Bei der Reaktivierung der 750-kV-Leitung Rzeszów-Churlnicki macht der polnische Netzbetreiber PSE wenig Hoffnung. Die Leitung ist veraltet und kann nicht wieder in Betrieb genommen werden. In seinem Investitionsplan 2022-2023 möchte PSE aber den Ausbau einer 400-kV-Leitung in der Region Podkarpacie voranbringen. Das könnte die Basis für eine entsprechende Verbindung mit der Ukraine bieten.
Da die Ukraine nun Teil des ENTSO-E ist, werden die Investitionsmöglichkeiten für Bau- und Modernisierungsarbeiten besser sein: Die Stromnetzbetreiber können nun auch auf eine gesamteuropäische Unterstützung hoffen. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
Aleksandra Fedorska