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Befreiung vor 75 Jahren: Corona verhindert Staatsakt - NS-Überlebende fürchten politische Folgen der Pandemie

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Von: Florian Naumann

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Befreiung vor 75 Jahren: Corona verhindert Staatsakt - NS-Überlebende warnen vor Virus als politischer Gefahr
Jahrestag der Befreiung: Kanzlerin Angela Merkel legt einen Kranz an der Berliner Neuen Wache nieder. © AFP / HANNIBAL HANSCHKE

"Man kann Deutschland nur mit gebrochenem Herzen lieben" - Bundespräsident Steinmeier hat zum Jahrestag der Befreiung an die Deutschen appelliert. Sorge bereitet die Corona-Pandemie.

Berlin/München - Vor 75 Jahren endete das verbrecherische Schreckensregime der Nationalsozialisten in Deutschland - und mit ihm der Zweite Weltkrieg. In Corona-Zeiten fielen die Gedenkfeierlichkeiten in der Bundesrepublik ungeplant klein aus: Der angedachte Staatsakt mit 1600 Gästen wurde abgesagt, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) legten in Berlin einen Kranz nieder - Publikum war bei dem Termin nicht zugelassen.

„Damals wurden wir befreit. Heute müssen wir uns selbst befreien“, sagte Steinmeier am Freitag (8. Mai) und verwies dabei auf Nationalismus, Hass, Hetze sowie „Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung“. Steinmeier betonte, 1945 sei Deutschland militärisch besiegt, politisch und wirtschaftlich am Boden, moralisch zerrüttet gewesen: „Wir hatten uns die ganze Welt zum Feind gemacht.“ 

Befreiung vor 75 Jahren: Corona verhindert Staatsakt - NS-Überlebende warnen vor Virus als politischer Gefahr
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede in Berlin. © AFP / Hannibal Hanschke

75 Jahre später müsse man wegen der Corona-Pandemie zwar allein gedenken, sei aber nicht allein - Deutschland liege nun „im Herzen eines friedlichen und vereinten Europa“, das sei die „glückliche Botschaft des heutigen Tages“. „Wir müssen als Europäer denken, fühlen und handeln“, forderte der Bundespräsident. Wenn Europa scheitere, scheitere auch das „Nie wieder“. (Steinmeiers Rede im Wortlaut finden Sie hier.)

Weltkriegs-Gedenken in Corona-Zeiten: Holocaust-Überlebender fürchtet Erstarken des Rechtsextremismus

Doch die Corona-Krise spielt nicht nur in Form organisatorischer Hürden eine Rolle beim Gedenken an die Befreiung Deutschlands. Überlebende der NS-Zeit sehen die Pandemie auch als eine konkrete politische Gefahr. Sie warnten am Freitag vor einem Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland.

Die immensen Schulden zur Bewältigung der Krise würden die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter verschärfen; das wiederum treibe Menschen stärker den Rechtsextremisten in die Arme, warnte der Holocaust-Überlebende und Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, Ernst Grube, in einem Gespräch mit der dpa.

Corona und Jahrestag der Befreiung: Knobloch warnt vor „Schuldzuweisungen wie im Mittelalter“

Auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, äußerte sich besorgt. „Die Krisenzeiten, das wissen wir, waren immer Zeiten von Judenhass. Man sieht die Anzeichen auch dieses Mal, es gibt Kommentare im Internet oder Schuldzuweisungen wie im Mittelalter. Wenn große Gefahr ist, wird den jüdischen Menschen die Schuld zugeschoben“, sagte Knobloch. „Die Juden sind an allem schuld. Das ist ein Credo, das viele weitergeben.“ In Bayern ist die Zahl der gemeldeten antisemitisch motivierten Straftaten bereits 2019 deutlich gestiegen.

Knobloch kritisierte auch scharf den AfD-Fraktionschef im Bundestag, Alexander Gauland, der den Tag, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa endete, als „Tag der absoluten Niederlage“ bezeichnet hatte. „Auch die unerträglichen Vergleiche von Gauland passen ins Bild der vielen historischen Verdrehungen seitens der AfD. Sie ändern aber nichts daran, dass wir den 8. Mai in diesem Jahr erneut in Freiheit und Demokratie begehen, die ohne den 8. Mai 1945 undenkbar wären.“

Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) kritisierte diese Äußerung. Er habe eine „völlig andere Position“, betonte er in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Der Abgrund der deutschen Geschichte und der europäischen Zivilisation ging zu Ende. Endlich.“

Tag der Befreiung: 8. Mai Feiertag in Berlin - Putin äußert sich deutlich

Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endete am 8. Mai 1945 der von Hitler-Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg in Europa. Er kostete hier und in Asien, je nach Schätzung, zwischen 55 und mehr als 60 Millionen Menschen das Leben. Darunter waren auch etwa 6 Millionen europäische Juden, die die Nationalsozialisten in ihrem Rassenwahn ermordeten.

Zum Gedenken an den 8. Mai 1945 versammelten sich mit Steinmeier auch die Spitzen der vier anderen Verfassungsorgane - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie die Präsidenten des Bundestags, Bundesrats und Bundesverfassungsgerichts, Schäuble, Dietmar Woidke (SPD) und Andreas Voßkuhle - an der Neuen Wache in Berlin. Sie ist die zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Im Land Berlin war der Freitag einmalig ein Feiertag.

Kremlchef Wladimir Putin wies in einem Fernsehinterview einmal mehr eine Schuld der Sowjetunion am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zurück. Deutschland habe die Sowjetunion angegriffen und nicht umgekehrt. Alles andere sei „Blödsinn“, sagte er. Putin verschickte nach Kremlangaben auch mehrere Glückwunschschreiben an Staats- und Regierungschefs zur Erinnerung an die Opfer. Der Sieg sei damals gemeinsam errungen worden, hieß es mit Blick auf die früheren Sowjetrepubliken.

Vor 75 Jahren wurde auch das Konzentrationslager Dachau befreit. Der Münchner Merkur* berichtet von einer besonderen Begebenheit in Zusammenhang mit diesem Ereignis.

dpa/fn

*Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

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