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Energiewende: Deutschland braucht Wärmepumpen und das Verbrenner-Aus

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Von: Prof. Dr. Claudia Kemfert

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Michael Hüther
Prof. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. © Michael Kappeler/N. Bruckmann/M. Litzka

Die Energiewende sorgt für aufgeheizte Diskussionen. Dabei zeigt etwa der Blick nach Skandinavien, wie der Weg zu einer florierenden Ökostrom-Wirtschaft gelingen kann, schreibt Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), im Gastbeitrag - samt Stärkung des regionalen Handwerks und der Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Berlin - Deutschland paradox. Die Mehrheit der Bevölkerung will Klima- und Umweltschutz, aber Veränderungen erfreuen sich keiner großen Beliebtheit: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“ Gemäß diesem Motto wurde in den letzten 15 Jahren Deutschlands Energie- und Klimapolitik gestaltet, in dem möglichst kein Pelz gewaschen wurde. So machte man garantiert niemanden nass. 

Dafür steht uns jetzt das Wasser bis zum Hals. Denn wir alle stecken in der größten Energiekrise der Geschichte, weil die paradoxe „Pelzwasch-Politik“ unsere Volkswirtschaft in eine gefährliche Abhängigkeit von fossilen Despoten geführt hat. Wenig überraschend sind wir von der Erreichung der Klimaziele in vielen Sektoren weit entfernt. Dass dies in einigen Sektoren trotzdem gelingt, liegt weniger an der „Pelz-Politik“ als an der Krise, die daraus entstand. 

Ampelregierung packt die Energie- und Verkehrswende an

Nun aber soll es endlich losgehen. Die Ampelregierung krempelt die Ärmel hoch. Der Gebäudesektor ist besonders verschmutzt. Die Wärmewende soll nun die CO2-Emissionen aus dem System spülen. Veraltete fossile Öl- oder Gasheizungen sollen auf nachhaltige Heizsysteme samt Wärmepumpen umgerüstet werden. Und im ebenfalls superdreckigen Verkehrssektor hat die EU die Kehrwochen eingeläutet: Ab 2035 soll es keine Neuwagen mehr geben, die CO2 emittieren. 

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

Der Nutzen ist unbestritten: Das langfristig angesetzte „Verbrenner-Aus“ in ganz Europa schafft Planungssicherheit für Investoren und Industrie, die daraus Mut für Investitionen in Zukunftstechnologien schöpfen. Die Abkehr von fossilen Heiz- und Tanksystemen spart volkswirtschaftlich Kosten und erhöht durch Energieunabhängigkeit die Versorgungssicherheit. Die Energiewirtschaft bekommt durch die Wärmewende Rückenwind, weil aus passiven Konsumenten nunmehr aktive „Prosumer“ werden, die gleichzeitig Ökostrom produzieren, nutzen, speichern und verkaufen – und zwar extrem bequem. Denn die modernen Heiz- und Energiesysteme stabilisieren digitalisiert das regionale Netz. 

Das Beispiel Skandinavien

Der Blick nach Skandinavien zeigt, wie sich Wärmepumpen und emissionsfreie Nahwärmenetze zu einer florierenden und effizienten Ökostrom-Wirtschaft verknüpfen lassen. Wärmepumpen sind nicht nur deutlich effizienter und damit billiger als herkömmliche fossile Wärmesysteme, sie sind es vor allem im Vergleich Heizsystemen, die auf Wasserstoff basieren. Und volkswirtschaftlich besonders erfreulich ist, dass die Wärmewende das regionale Handwerk stärkt und Jobs und Wertschöpfung schafft. Eine Win-Win-Win-Situation also. 

Aber klar, diese gründliche Pelzwäsche funktioniert nicht mit Trockenshampoo. Beim Umbau des Systems befürchten manche sogar Extremnässe. Entsprechend groß ist das Geschrei. Dieses kindliche Trotzverhalten kommt denen zupass, die ihr Geld bislang sehr auskömmlich mit fossilem Schmutz verdient haben. Pelzwäsche stört ihr Geschäft.

So tun sie alles Erdenkliche, um die Abkehr von fossilen Energien zu verhindern und inszenieren ein gewaltiges Diffamierungs-Theater: Jeglicher Lösungsvorschlag zu modernen, emissionsfreien Heiz- oder Tanksystemen wird binnen Sekunden mit Getöse in der Luft zerrissen. Es werden Fakten verdreht und stattdessen Luftschlösser voller emissionsfreier Technologien gezaubert – damit alles so bleiben kann wie bisher. Dass die Kosten für E-Fuels fünfmal so hoch sind, egal! Dass die CO2-Preise, die derzeit noch gedeckelt sind, im freien Markt durch die Decke steigen würden, wurscht! Dass uns die Zeit davon läuft, was soll’s!  

Zeit für einen Realitätscheck der bisherigen Energiepolitik

Natürlich wird der immer dringendere Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft ein Kraftakt. Es wird Förderprogramme brauchen, um den Umstieg zu finanzieren, ausreichend Handwerker auszubilden und möglichen Materialengpässen entgegenzuwirken. Aber dass derlei nötig ist, ist ja eben die Folge der bisherigen Wolkenkuckucksheim-Wirtschaft und „Pelz“-Politik. Genau deswegen müssen wir jetzt umsteuern. „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ funktioniert nicht mehr. Zeit für einen Realitätscheck. Deutschland und Europa starten in den Waschtag!

Zur Autorin: Prof. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin sowie Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg.

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