„Preise viel zu hoch“: Experte läutet Einfamilienhaus das Sterbeglöckchen
Ukraine-Krieg und Corona-Pandemie haben die Lieferketten der Bauindustrie stark gestört. Der Wohnungsbau steht vor dem Einbruch. Ein Experte rechnet mit der Abkehr vom Einfamilienhaus.
München – Der Wohnungsbau in Deutschland steht nach Einschätzung von Branchenverbänden 2023 vor einem Einbruch. Hauptgründe sind Materialmangel und ein rasanter Anstieg der Kosten, bedingt durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Dies macht die Kosten neuer Bauvorhaben sowohl für die auftraggebenden Wohnungsunternehmen, als auch für viele ausführende Baufirmen und Handwerker unkalkulierbar, wie es übereinstimmend in Wohnungs- und Baubranche heißt.
Hohe Kosten: Einbruch beim Wohnungsbau ab 2023 erwartet
„Da wird es Einbrüche geben, und zwar ganz deutliche“, sagt Hans Maier, der Direktor des Verbands der bayerischen Wohnungswirtschaft (vdw), der Deutschen Presse-Agentur. „Wir hatten im Jahr 2021 Rekordfertigstellungszahlen, wir werden im Jahr 2022 gute Fertigstellungszahlen haben, und wir werden einen Einbruch im Jahr 2023 erleben.“
Das stimmt mit der Einschätzung des norddeutschen Schwesterverbands VNW weitestgehend überein: „Aufgrund der langen Vorlaufzeiten wird auf dem Bau noch in diesem und nächsten Jahr fertiggestellt, und spätestens 2024/25 ist Schluss“, erwartet VNW-Direktor Andreas Breitner für Norddeutschland. In beiden Verbänden sind überwiegend sozial orientierte Genossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften zusammen geschlossen, die bezahlbaren Wohnraum anbieten.
In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie klagten 90 Prozent der Unternehmen über Preissteigerungen, 80 Prozent über Lieferengpässe. Demnach geben Baustofflieferanten für viele Materialien derzeit nur noch tagesaktuelle oder gar keine Preise mehr an.
Materialengpässe machen der Bau- und Wohnungsbranche zu schaffen
„Es ist eine Situation, wie wir sie noch nie hatten“, berichtet ein Sprecher des Landesverbands der bayerischen Bauinnungen in München. „Wir haben eine Riesen-Auftragswelle, und gleichzeitig fehlen die Rohstoffe. Wir haben alle acht Wochen massivste Preissteigerungen.“
Teilweise nicht verfügbar sind nach Angaben von Bau- und Wohnungsbranche demnach Stahl und Stahllegierungen, das in vielen Baumaterialien eingesetzte Aluminium und Holz. Knapp sind demnach Dämmstoffe ebenso wie das für den Straßenbau wichtige Bitumen, es gibt Engpässe und massive Teuerung auch bei Fliesen und Keramik.
Bauherren und Baufirmen vereinbaren in ihren Verträgen in der Regel vor Baubeginn Festpreise. Wenn die Materialkosten so schnell steigen wie derzeit, laufen die Bauunternehmen Gefahr, am Ende trotz voller Auslastung Verluste zu machen. Um roten Zahlen vorzubeugen, bewerben sich viele Firmen deswegen nicht mehr um neue Aufträge: „In der Konsequenz geben über 30 Prozent der Bauunternehmen keine neuen Angebote mehr ab“, heißt es beim Bauindustrie-Hauptverband in Berlin.
Experte prophezeit Abkehr vom Einfamilienhaus
Experte Christoph Blepp meint, dass diese Entwicklung vor allem den Bautyp Einfamilienhaus treffen wird. Der Gründungspartner bei S&B Strategy, einer Unternehmensberatung, die sich mit Übernahmen und Strategien im Bausektor befasst, sagte gegenüber focus.de: „Es wird Verschiebungen in der Struktur geben: Weg vom Einfamilienhaus, das vom Preis her viel zu hoch ist, hin zu Mehrgeschossbauten.“
Die Zahlen geben ihm recht: Seit 2005 sinkt laut Statistischem Bundesamt in Deutschland der Anteil von Einfamilienhäusern. Mehrfamilienhäuser werden dagegen häufiger gebaut. (lma/dpa)