Hunderte deutsche Firmen noch immer in Russland – woran der Rückzug scheitert

Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges wollten zahlreiche westliche Firmen Russland verlassen. Ein knappes Jahr später zeigt eine Studie, dass noch über 90 Prozent dort sind – nicht immer ganz freiwillig.
München – Seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine haben sich etliche westliche Firmen aus Russland zurückgezogen. Darunter fanden sich auch aus Deutschland viele große prominente Namen wie Siemens oder die Deutsche Telekom. Erst im Januar wurde bekannt, dass auch das Öl- und Gasunternehmen Wintershall Dea Russland nach fast einem Jahr Krieg verlässt – und deswegen seinem Mutterkonzern BASF einen Milliardenverlust beschert.
Nur 8,5 Prozent der westlichen Unternehmen haben sich aus Russland zurückgezogen
Es entsteht fast der Eindruck, als würde es gar keine westlichen Firmen mehr in Russland geben. Doch dieser täuscht, legt eine aktuelle Studie der Universität St. Gallen nahe. „Wir waren skeptisch bei der Anzahl der Unternehmen aus Europa und den G-7-Ländern, die aus Russland ausgestiegen sind“, sagt Simon Evenett, Studienautor und Experte für Handelspolitik an der Universität St. Gallen gegenüber der Süddeutschen Zeitung (SZ). „Dann haben wir datenbasiert analysiert – und geschaut, wo wirklich Standorte und Unternehmenstöchter verkauft wurden. Und in sehr vielen Fällen sahen wir dann keinen wirklichen Rückzug aus Russland.“
Laut der Analyse haben sich tatsächlich nur 8,5 Prozent der Unternehmen aus G7- und EU-Staaten aus Russland zurückgezogen und mit ihrer Tochtergesellschaft das Land verlassen. Dabei sei allerdings den Studienautoren zufolge auffällig, dass sich vor allem Firmen mit geringer Profitabilität im Russland-Geschäft verabschiedet hatten.
Die große Mehrheit – über 90 Prozent – harrt dagegen noch in Russland aus: Viele sind weiter im Geschäft, auch weil ihre Branche nicht von Sanktionen betroffen ist, oder sie haben dort noch ihre Landesgesellschaft, die aber nicht mehr aktiv operiert. Insgesamt handelt es sich laut Analyse um 1284 EU- oder G7-Firmen. Davon sind den Ergebnissen zufolge die meisten aus Deutschland, es handelt sich dabei um rund 250 Unternehmen.
Volkswagen sucht seit Monaten Käufer für russisches Werk
Die Gründe dafür können vielfältig sein – und hängen nicht immer nur mit dem Kalkül zusammen, weiter Geschäfte machen zu können. Die Studienautoren weisen auch darauf hin, dass viele westliche Unternehmen, die verkaufen wollen, keinen Käufer finden, der bereit ist, die geforderte Summe zu zahlen. Und das, obwohl Russland von den Firmen verlangt, mindestens 50 Prozent unter Marktwert zu verkaufen.
Dazu gehört beispielsweise Volkswagen: Der deutsche Autobauer sucht seit Monaten Käufer für sein Werk in Kaluga, berichtet die SZ. Bei anderen Unternehmen würde Russland einen Rückzug hinauszögern, indem die Behörden beispielsweise den Transfer von Erlösen ins Ausland verhindert.
Die betroffenen Unternehmen wollen wohl nicht dem Beispiel von Renault und Nissan folgen: Sie haben ihre Produktionsstätten in Russland für einen symbolischen Preis von einem Rubel verkauft. Renault musste dafür aber zwei Milliarden Euro auf die russischen Geschäfte abschreiben.
Mit Material der dpa